Der Grenzübertritt in den Iran verlief völlig komplikationslos, ein Blick in den Pass und auf’s Visum, Gehacke in den Computer, keinerlei pedantische Fragen, nicht einmal unsere Taschen wurden gescannt. Rosie und Patrick vor uns waren gerade schon dabei, sie abzuladen, als der Beamte so langsam schnallte, wieviel Arbeit da auf ihn zukam (4 Räder à 5 Taschen + 4 Packsäcke) und winkte uns durch. Verdammter Mist! Wir hätten noch literweise Granatapfelwein rüber schmuggeln können. Aber brav wie wir sind, hatten wir keinen einzigen Tropfen Alkohol mehr bei uns, auch kein Schweinefleisch. Ja, das ist auch verboten. Schilder wiesen uns sogleich daraufhin, dass wir doch angesichts des Ramadans bitte nicht vorm Personal essen und trinken sollten.
Wir hatten uns gerade auf die Räder geschwungen, da bemerkte Patrick hinten einen Platten. Was war heute nur los!? (Für diejenigen, die den letzten Teil des Armenien-Berichts nicht mehr auf dem Schirm haben: Rosie hatte am Morgen auf dem Meghri-Pass bereits einen Plattfuß). Da rächten sich die abgenutzten Mäntel der beiden, die schon 2000 km mehr als wir auf dem Buckel hatten. Jetzt war klar, dass wir wirklich nicht mehr viel Strecke schaffen würden. Auf der Karte war inmitten dieser trockenen Steinlandschaft ein Fluss mit sattem Grün drum herum erkennbar. Wir beschlossen, dort einen Zeltplatz zu suchen. Das bedeute leider, nachdem wir uns mühsam einige Höhenmeter hinauf gekämpft hatten, von unserer Gebirgsstraße hinunter ins Tal zu rollen (und schließlich am nächsten Morgen alles wieder hoch zu fahren). Nachdem wir aber mehrere anhaltende Autos gefragt hatten, ob es dort unten eine Campingmöglichkeit gäbe und diese bejahten, fanden wir, es ist den Zusatzaufwand Wert. Allerdings bekamen wir schnell das Gefühl (was sich später noch bestätigen sollte), dass die Iraner auch gerne mal „ja“ sagten, obwohl sie keine Ahnung hatten. Wahrscheinlich ist ein „nein“ oder „ich weiß es nicht“ in ihren Augen eine unhöfliche Antwort. Wir standen jedenfalls von Kindern umzingelt unten am Fluss und eine ruhige Zeltstelle schien kaum vorstellbar. Immerhin wollten wir den aktuellen Trubel nicht mit zu unseren Zelten transportieren. Die Jungs begannen sich bei der lokalen männlichen Bevölkerung schlau zu machen, während ein alter Mann auf dem Moped Rosie und mir einen großen Beutel Kirschen und Äpfel in die Hände drückte. Wow, kaum im Land angekommen, bestätigten sich die Berichte von großzügigen Essensgaben. Im Ramadan, wo sie doch selber tagsüber ganz schön hungern mussten, hätten wir das aber nicht erwartet.
Wir folgten also den Anweisungen der Dorfbewohner und rollten Richtung Moschee. Hier war aber weit und breit keine Wiese mehr zu sehen. Man zeigte weiter in den Innenhof der Moschee, die umgeben war von zweistöckigen „Apartments“. Jede Tür führte in einen kleinen Raum, der mit Teppichen und Kissen ausgelegt war. Sogar Strom gab es. Der Verantwortliche für die Räumlichkeiten gab uns Schlüssel für zwei dieser Räume und wir waren uns nicht so ganz sicher, ob das jetzt eine Geste muslimischer Gastfreundschaft war oder ob es etwas kosten würde. Im zweiten Fall hätten wir nämlich doch mit einer Zeltwiese vorliebgenommen. Zudem konnten wir jetzt nichts kochen, denn es war noch hell und wir standen unter Beobachtung, denn der gesamte Hof der Moschee schien bewohnt. Wir hatten keine Ahnung, ob die Menschen hier dauerhaft lebten oder extra für den Ramadan hier einzogen. Gemeinsam bereiteten die Frauengruppen, die an den Seiten des Hofs Picknick-artig beisammensaßen, bereits das große Fastenbrechen zum Sonnenuntergang vor. Rosie und ich taten es ihnen gleich, während sich langsam ein Gewitter über uns zusammenbraute. Jetzt waren wir doch ganz froh über das uns gewährte Obdach. Dann war es endlich soweit: die Dunkelheit brach ein! Endlich essen! Überall das gleiche Bild: große Menschengruppen hockten zusammen und genossen das gemeinsame Mahl. Dabei wirkten sie keineswegs ungehalten (man möge sich bei uns das Abendessen vorstellen, wenn alle den ganzen Tag nichts gegessen hatten), sondern aßen besonnen, genüsslich und dankbar. Dankbar waren auch wir den ganzen Abend, denn unverhofft kam ein Mann von der anderen Seite des Innenhofs mit einem Teller Reis, Fleisch und Bohnen. Patrick, der noch einmal los gezogen war auf der Suche nach Benzin für den Kocher traf auf denselben Moped-Opa, der uns zuvor schon mit Obst beschenkte und kehrte mit gefühlten drei Kilo Aprikosen zurück. Zu guter Letzt gab es eine riesige Portion Dolma, die folgenden Hintergrund hatte: Langsam hatte die Kunde von vier Fremden auf Rädern die Runde gemacht und der Pulk Menschen vor unserem Lager wurde immer größer. So müssen sich Celebritys fühlen. Man starrte uns an wie Tiere im Zoo und viele wollten Fotos mit uns. Plötzlich fragte ein Mädchen, was unser Lieblingsessen sei. In Erinnerung an Patricks verzweifelte Versuche, in Armenien Dolma zu bestellen (Weinblätter gefüllt mit Hack oder vegetarisch mit Reis) und ihm immer wieder gesagt wurde, es sei nicht die Jahreszeit dafür, sagte Rosie spontan „Dolma“. Und eine Stunde später hatten wir eben diese Ladung vor der Nase. Wow, was für ein Einstieg. Allerdings war das ständige beäugt Werden auch nicht ganz unlästig. Selbst im Damenwaschbereich wichen die Blicke nicht von Rosie und mir. Noch dazu war dieses Toiletten-Hygiene-Haus das reinste Gruselkabinett mit uralten Rohren und Leitungen, stinkenden Plumpsklos (unsere erste Bekanntschaft mit Spülschlauch anstelle von Klopapier) und vergammelten Fugen. Ein Blick in den Männerbereich ließ ein tadelloses, frisch gefliestes Bad erahnen. Ein schöner Vorgeschmack auf die Rolle der Frauen in diesem Land: untergeordnet.
An diesem Abend gab es auch noch den ersten Polizeikontakt. Anscheinend hatte sich die Kunde von vier Reiseradlern wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Männer regelten die Angelegenheit in aller Eloquenz, nur war Patrick von nun an etwas paranoid, was polizeiliche Kontrollen bzw. im Schlimmstfall Observierung betraf.
Noch vor um 5 am Morgen wurden wir dann von schallenden Lautsprechergesängen aus der Moschee geweckt. Wir wollten eigentlich schon gern bis um 6 durchschlafen, Dankeschön. Zur frühen Stunde konnten wir uns nun unbeobachtet bewegen und waschen. Gefrühstückt haben wir natürlich nur heimlich auf den Zimmern, immerhin war es schon hell. Bei noch angenehmen Temperaturen und bedecktem Himmel konnten wir so die steile Tagesetappe in Angriff nehmen. Schon bald zeigten sich bei Rosie wieder lufttechnische Ermüdungserscheinungen im Hinterrad. Da war der Flicken wohl doch nicht an der richtigen Stelle. Bald darauf musste Patrick wieder einmal wegen einer lockeren Schraube am Schutzblech des Hinterrads anhalten – auch dieses Problem kannten wir schon aus Armenien. Die beiden Pechvögel, die aber zugegeben manchmal auch ganz schön über die holprigen Straßen brettern, während Klaus und ich dem Material zuliebe besser einmal zu viel als zu wenig bremsen, insistierten, wir sollten bereits weiterfahren, sie würden uns schon einholen. Tatsächlich war ich für diesen Freifahrtschein dankbar, denn nach einer Pause wieder in Tritt zu kommen ist manchmal anstrengender als sich einfach durchzubeißen. Auf einer Art Sattel warteten wir dann aber fast eine Stunde auf die beiden und bekamen Gewissensbisse. Doch die beiden waren bester Laune, als sie bei uns eintrudelten. Gerade als wir im Begriff waren, weiter zu radeln, stoppte das Auto mit Mainzer Kennzeichen, welches uns bereits am Vortag in Armenien überholt hatte. Der Fahrer war Weinbauer und hatte offenbar ziemlich viel Zeit und Geld, um den Großteil des Jahres umherzureisen. Sieben Jahre hatte er in Isfahan gelebt und dank seiner iranischen Kontakte war er nun zu einer Hochzeit eingeladen. Dabei war er sich nicht zu blöd, uns in aller Ausführlichkeit aufzuzählen, was er denn nicht alles heimlich im Kofferraum schmuggelt. Kistenweise Champagner, Bier und Kosmetikartikel, womit er sich erhoffte, der Held der Party zu sein. Dazu noch langweilige Ausführungen seines Motorradunfalls in Georgien, obwohl ihn keiner danach gefragt hatte. Nachdem er unsere Zeit gestohlen hatte, trank er noch genüsslich seine Glasflasche Wasser aus und brauste davon, ohne uns nur einen Tropfen Wasser in dieser pupstrockenen Gegend oder eine Flasche von seinem Schmuggelgut anzubieten. Wir hätten ja auch bezahlt, so wäre es nicht gewesen. Aber er dachte eben nicht mit einer Wimper daran.
Bei unserer Rast im nächsten Dorf dürsteten wir nach einem erfrischenden Eis und hatten uns gerade abseits unter einem Baum versteckt, da trat nun doch die Grenzpolizei begleitet von der Moralpolizei auf den Schirm. Wir hatten sie ja schon fast verdrängt… Noch gänzlich unsicher, wie wir uns nun im Ramadan zu verhalten hätten, versteckten wir alle unsere Eispakete und hatten nur einen Gedanken „Es schmilzt! ES SCHMILZT!“. Dummerweise scheint die Alphabetisierung hier nicht so weit fortgeschritten oder die dümmsten Dödel fangen bei der Polizei an. Jedenfalls werden Reisepässe gelesen wie das erste Buch, das sie jemals in Händen halten. Selbst in unseren noch äußerst übersichtlichen Reisepässen (i.e. ein Visum und fünf Stempel) ist man oft unfähig, das Iranvisum zu finden. Nachdem sie abgedampft waren, aßen Klaus, Rosie und ich eilig unser halb zerflossenes Eis, während Patrick aus lauter Angst oder sagen wir Respekt vor der Moral Police das seinige kurzerhand in den Mülleimer beförderte.
Nach vielem Auf und Ab an jenem Tag wollten wir in einem saftig grünen Flusstal das Zelt aufschlagen. Wir entdeckten eine kurz gestoppelte Wiese bei ein paar Imkern, die uns netterweise erlaubten, das Zelt auf ihrem Grundstück aufzuschlagen. Auf die etwas „wilderen“ Stellen am Fluss hatten unsere Begleiter von der Insel Schlangen-bedingt wenig Lust. Während Klaus noch dabei war, alles auszukundschaften, hielt neben uns drei Wartenden einer der unzähligen blauen Nissan-Trucks, die hier für den Warentransport sehr beliebt sind. Ein Mann stieg aus, kramte herum und drückte uns unverhofft eine Tüte mit drei dicken Forellen in die Hand. Wahnsinn, wir wollten eigentlich nur Nudeln mit Tomatensoße kochen und dann hatten wir auf einmal fangfrischen Fisch! Ein guter Anlass für die Männer, sich beim Feuermachen auszutoben.
Die nächste Etappe hatte es in sich. Bis nach Tabriz lagen ordentliche Steigungen und zusätzlich viele Längenkilometer vor uns. Die größte Herausforderung war ein Sattel in 2300 Metern Höhe, auf den eine stellenweise unsagbar steile Straße führte. Der Steilheit nicht genug schmiss uns der Sturm, der volle Kanne entgegen wehte, beinahe vom Fahrrad. Völlig ungewohnt, mussten zumindest wir Damen bei der schlimmsten Passage schieben, da aufgrund des Sturms weder das sonst beliebte Serpentinenfahren noch das Fahren im Stehen möglich war. Wir waren heilfroh, als wir endlich oben waren und uns von nun an tendenziell nur noch bergab begaben. Beim kurzen Halt in einem Minimarkt wurden wir vom Besitzer zum Tee eingeladen, er trank natürlich auch mit. So so, von wegen nichts essen und trinken bis zum Sonnenuntergang. Auch sahen wir an diesem Tag viele Menschen am Wegesrand essen und spätere Nachfragen bestätigten uns: eigentlich hält sich kaum jemand an den Ramadan. Zuhause, wo es die Moralpolizei nicht sieht, wird getrunken und gegessen und auf Reisen ist es sogar am Straßenrand legitim. Überall, wo Schatten spendende Bäume stehen wird gepicknickt. Da wird rigoros der Teppich ausgebreitet, egal ob es direkt am Straßenrand auf Asphalt und inmitten der Abgase ist.
Die letzten Kilometer nach Tabriz waren dann richtig kräftezehrend. Es war trotz des bereits angebrochenen Abends heiß, wir hatten schon etliche Kilometer und Höhenmeter in den Beinen und zu allem Übel mussten wir jetzt den Highway in die Stadt hinein fahren. Fühlten wir uns zunächst noch auf dem wie für uns gemachten Randstreifen relativ sicher, so wurde es im Stadtgewimmel mit den gefühlt unendlich spurigen Kreisverkehren, Auf- und Abfahrten jedoch lebensgefährlich. Ok, wir müssen den Iranern zugestehen, dass sie im letzten Moment doch immer auf die Bremse gehen, aber erst mal sieht man nur die Autos auf einen zubrausen bzw. hört sie von hinten heranrasen. Jetzt wissen wir, was die Portugiesen damals in Georgien mit ihrer Warnung vor der vollkommen unvorhersehbaren Fahrweise der Iraner meinten. Einige Stoßgebete und Schockmomente später trafen wir ziemlich saft- und kraftlos am Guesthouse Darya ein. Zumindest glaubten wir, es sei das Guesthouse Darya. Zwei Eingänge rechts von diesem liegt nämlich ein zweites, das von außen identisch aussieht und in das Patrick dummerweise zuerst gegangen ist und die auch behaupteten, Darya zu sein. Zwar besichtigten wir beide dann die Zimmer und hatten ein ungutes Bauchgefühl, aber Darya war doch im Internet so hochgelobt, das konnte doch gar nicht schlecht sein. Nach der ersehnten Dusche und wieder bei Besinnung realisierten wir alle, dass wir verarscht wurden und beschlossen, gleich am nächsten Morgen rüber ins richtige Guesthouse zu wechseln. Zum Abendessen mit lecker Asch und Abguscht trafen wir uns mit dem Iren, der in der „Cycle the world“-WhatsApp-Gruppe einen Hilfeaufruf gestartet hatte. Er war von der Türkei in den Iran hinein geradelt und hatte keine Ahnung, dass das hier mit dem Geld abheben leider nicht so gut funktioniert. Patrick und Rosie waren so nett, ihm in Meghri noch einige Dollar abzuheben und für seinen Iran-Aufenthalt auszuhelfen. Nach einem Softeis am Straßenrand fielen wir geschafft in unsere schmuddeligen Betten, die wir nur mit unserem eigenen Schlafsack benutzen wollten.
Nach dem Umzug am nächsten Morgen suchten wir zunächst mit unseren Rädern den im Internet vielfach gelobten kostenlosen Fahrradcheck durch Saeed Mohammedi auf. Patrick und Rosie verabschiedeten sich gleich auf die Suche nach neuen Mänteln in andere Fahrradläden der Stadt, als sie sahen, dass sie in dieser kleinen Klitsche niemals fündig werden würden. Wir wollten zumindest den Fahrradcheck in Anspruch nehmen. Neben uns stand auf einmal ein Mann, der super fließend Deutsch konnte, fragte, was unser Begehr wäre und es anschließend Saeed kommunizierte. Er verabschiedete sich in sein eigenes Geschäft und wir wurden Zeuge des ach so tollen Fahrradchecks: Kette reinigen und ölen. Wow, das hätten wir auch selber hinbekommen. Und an der Kommunikationsbarriere fehlende gemeinsame Sprache kann es ja dank unseres Dolmetschers nicht gelegen haben, außer er hat aus „allgemeinem Fahrrad-Check“ „Sieh dir nur die Kette an“ gemacht.
Rosie und Patrick verbrachten viel Zeit mit der Suche nach Mänteln, die es dann doch nicht gab und schrieben uns, wir sollten nicht auf sie warten. Also verbrachten wir viel Zeit auf dem Basar, der zu den größten und stimmungsvollsten im Iran zählt. Hier galt es vor allem, mir ein Wechseloutfit zu besorgen. Denn ich konnte ja schlecht mit ein und derselben Klamotte 30 Tage durch’s Land reisen, vor allem nicht bei den schweißtreibenden Temperaturen. Und die restlichen Sachen im Gepäck waren leider nicht Islam-tauglich…. Am Abend suchten wir die Touristeninformation von Nasser Khan auf, der fließend acht Sprachen spricht und uns lang und viel über Tabriz, den Iran, seine Sitten und mögliche Ausflüge erzählte. Als wir ihn lediglich nach einer Restaurantempfehlung fragten, führte er uns kurzerhand in ein ehemaliges Hammam. In dieses schöne Etablissement lotsten wir auch Rosie und Patrick, die auf einmal neuseeländischen Anhang dabei hatten. Brand hatte sie vorm Guesthouse abgefangen und sich angeschlossen. Wir probierten die Kufte Tabrizi, erneut Abguscht (endlich wurde uns gezeigt, wie man es richtig isst, nämlich erst den Sud mit Brot als Suppe genießen und anschließend den Rest des Eintopfs zu einem Brei zerstampfen), Dolma und Fisch. Von den Nachbartischen und vom Restaurant selbst gab es dann noch stopfende Geschenke in Form von Bakhlava, weiteren Dolma, süßem Brot und Keksen. Und das nach einem Ruhetag….
Am Morgen verabschiedeten wir uns von unseren liebgewonnen Radel-Freunden, die nun erst mal zwei Tage bei einem Studiumsfreund in Urmia verbringen wollten. Auch wir wollten noch nicht sofort weiterradeln und machten mit einem Taxi einen Tagesausflug an den Urmiasee, einem hochkonzentrierten Salzsee (die zweithöchste Salzkonzentration eines Binnengewässers weltweit) und nach Kandovan, einer Stadt in Felspyramiden gebaut. Wem das aus unseren Berichten bekannt vorkommt (Goris, Armenien), der finde hier den Unterschied: dieses Dorf ist komplett bewohnt und sogar elektrifiziert. Jedes zweite Haus hat einen Shop eröffnet, wo es Honig, getrocknete Früchte, Nüsse, Tee, Taschen u.v.m. zu erstehen gibt. Wie so oft im Iran, fragten wir uns, ob hier Angebot und Nachfrage in irgendeinem Verhältnis standen, oder ob die Shop-Besitzer irgendwie subventioniert werden. Wir kauften immerhin ein paar getrocknete Aprikosen. Auf der Heimfahrt machten wir mit der Melone, die wir unterwegs geschenkt bekamen, mit unserem Taxi-Fahrer einen Picknickstopp versteckt unter Bäumen. Mit ausreichend Brot für den Abend beschenkte er uns außerdem. Wir tauften es „Gummibrot“. Es ist selbst frisch gebacken einigermaßen zäh. Daneben gibt es noch die mit Sesam bestreuten, oval geformten Brote, die allerdings auch nur frisch gebacken richtig gut schmecken. Aber das Allerschlimmste war das Lappenbrot, das durch eine Walze gepresst wird. Dieser Teiglappen wird gerne zum Kebab gegessen. Wir vermissten ein wenig unsere leckeren günstigen Puri aus Georgien, die selbst am nächsten Radeltag noch lecker waren.
Wir beschlossen, noch einen Organisationstag in Tabriz zuzubringen, bevor wir uns wieder auf die Räder schwangen, denn noch stand einiges auf der to-do-Liste. Es galt z.B. eine iranische SIM-Karte zu besorgen, da es im Gegensatz zu Armenien und Georgien kaum (offenes) WiFi gab. Und gerade bei dem engen Kontakt, den man hier mit den Einheimischen pflegt („I give you my number and if you have any problem – call me!“), ist das ganz hilfreich. Ebenso wollten wir Passfotos für die weiteren Visabewerbungen machen, was in dem kleinen warmen Kabuff, welches wir dummerweise auserkoren hatten eine halbe Ewigkeit dauerte. Die Kamera löste eine halbe Stunde lang nicht aus, doch immer wieder befahl man uns zu warten und als brave Touristen macht man das anstatt zum nächsten Fotografen zu gehen. Eine weitere halbe Stunde dauerte es, bis wir die schlechten Bilder, die wir noch selbst auf Pass-Format zuschneiden durften, in Händen hielten. Was in Deutschland eine Sache von fünf Minuten ist, kann hier schon mal einen halben Tag in Anspruch nehmen.
Dann endlich rollten unsere Räder wieder. Erste Station: Sarab. Wir kämpften uns kaum sichtbar, dafür umso deutlicher spürbar bergauf aus Tabriz hinaus, zunächst noch auf dem Highway, der gen Teheran führt. Dennoch fühlen wir uns auf solchen Straßen sicher, da wir auf dem Randstreifen fahren können. Der Verkehr ist natürlich nichtsdestotrotz nervig, dreckig und laut. Leider erfüllte sich unsere Hoffnung auf mehr Ruhe nach dem Abzweig Richtung Astara nicht. Die Straße war immer noch groß und gut befahren, erst im weiteren Verlauf wurde sie ein bisschen ruhiger. Landschaftlich reizvoll und mit Rückenwind schafften wir trotz drei Tagen Radelpause 120 km, knackten dabei sogar die 4000 km-Marke und durften unser Zelt auf einer Obstplantage/Kuhweide aufschlagen. Der Grundstücksbesitzer wollte uns den Gesten zufolge sicher wieder zu Tee und/oder Essen einladen, sprach aber kein Wort Englisch. Also taten wir einfach so, als würden wir nichts verstehen, denn wir wollten endlich einmal wieder unserem eigenen Campingrhythmus folgen. Zeltaufbau, kochen, essen, schlafen. Und das Ganze nicht zu unchristlich späten Uhrzeiten.
Leider drehte bereits am Abend der Wind und dieselbe Brise, die uns erst noch Richtung Kaspisches Meer trieb, schlug uns am nächsten Tag entgegen wie eine Wand. In knallender Sonne mit welligem Profil machte das irgendwie keinen Spaß. In Sarab erfuhren wir beim Obstkauf, dass heute Feiertag war, nämlich ein „Freedom for Palästina/Hate America-Day“. Ah ja. Nur 10 km später ließen wir uns wieder aufhalten. Bagher, ein Kuhhirte, winkte uns zu seinem Betrieb heran. Er war stolz auf seine 50 Kühe, die hier Milch für die ganze Region produzierten, stellte uns seinen Brüdern und Papa vor (Familienunternehmen), versorgte uns mit Tee und warmer Milch und zeigte uns schließlich seine schwarz-weiß gefleckten Prachtstücke. Als Klaus lediglich nach einer Möglichkeit fragte, die iranische SIM-Karte aufzuladen, erledigte er das kurzerhand telefonisch und weigerte sich, dafür Geld anzunehmen.
Wir waren nur wenige Kilometer weiter gerollt, als wir wegen des Gegenwindes, nein, Gegensturmes eine kurze Verschnaufpause einlegen mussten. Da stieg plötzlich ein freundlicher Mann aus seinem BMW und brachte uns eine Tüte mit Obst und Gemüse. Wie großzügig! Er bat uns zu seiner Familie heran. Sein Sohn lernt Deutsch, weil er gerne in Deutschland studieren möchte. Er selbst war Apotheker und seine Frau, die Zahnärztin, machte uns eines der großartigsten Geschenke: Haribo Goldbären!!!
Der Tag war wirklich ein Auf und Ab der Gefühle. Kaum hatten wir uns wieder einige Kilometer weitergekämpft, sammelte Klaus dann doch mal eins dieser Metallteile, die auf dem Randstreifen lagen auf und hatte prompt einen Plattfuß – den ersten unserer gesamten Tour! Gerade als wir wieder fahrbereit waren, hielt ein LKW-Fahrer und bot uns Wasser an. Das lehnt man natürlich nicht ab. Dann vergaß er jegliche Manieren, grabschte uns an der Wange, gab uns einen Knutscher und ehe ich mich versah, war seine Hand an meiner Brust. Vor lauter Schock und Entsetzen fiel mir nichts Besseres ein, als mich lediglich abzuwenden und zum Fahrrad zu marschieren, Klaus hatte es nicht einmal gesehen. Rückblickend hätte man den Mistkerl schon mal ordentlich zusammen schreien können, aber so blöd es klingt: man will hier keinen Stress provozieren. Im Zweifel sind wir die Deppen. Kurze Zeit später stoppte wieder ein LKW-Fahrer neben uns, als wir uns sichtlich am Berg abmühten und deutete uns an, die Räder hinten auf die Ladefläche zu schmeißen. Wir schummeln ja wirklich nicht gerne, aber heute mussten wir dieses Angebot einfach annehmen. So schafften wir es am Nachmittag nach Ardabil, wo uns ein junges Pärchen im Auto „adoptierte“ und zum uns empfohlenen Zeltplatz eskortierte. Die Adresse, die uns ein Freund des LKW-Fahrers am Telefon durchgegeben hatte, war aber ein Hotel und auch auf Nachfrage konnten die uns selbstverständlich nichts als überteuerte Zimmer anbieten. Das Pärchen meinte daraufhin, sie wüssten einen Platz zum Zelten und geleitete uns zu einem Park, der allerdings von zwei großen Straßen umgeben war und null Sichtschutz bot. So richtig cool fanden wir das hier eigentlich nicht, wir wollten dennoch zunächst rasten, uns erfrischen und dann weitersehen. Das Mädchen kam dann nochmal mit ihrer Mutter vorbei, brachte uns Melone und Süßes und wollte ganz viel über Deutschland wissen. Ok, nicht wirklich viel, außer „Wie teuer ist das? Wie teuer ist jenes?“ Anscheinend plante sie ihren nächsten Shoppingtrip. Dann, urplötzlich, nachdem eine Menschengruppe vorbei gelaufen war, fragte sie „Do we want to go to another place?“. Wir verneinten, da wir uns gerade ziemlich breitgemacht hatten und unsere Räder so auch nicht zurücklassen wollten. Auf einmal sagten sie, ihre Mutter und ihr Mann „Good bye“ und wackelten zum Auto. Zuvor hatte uns die Mutter noch angeboten, bei ihr im Haus zu schlafen. Was war das denn? Es muss mit irgendwelchen Leuten im Park zusammen gehangen haben. Und auch wir fühlten uns jetzt immer unwohler, fühlten uns von seltsamen Menschen observiert und wollten hier keine Minute länger bleiben. Zum Weiterradeln war es nun zu spät. Ehe wir aus der Stadt raus gewesen wären, wäre es dunkel geworden. Kurzerhand riefen wir einen Warmshowers-Host an und nach vielen erfolglosen Kontaktversuchen, die wir auf dieser Plattform schon hinter uns hatten, ging Pouya sofort ans Telefon und meinte, es wäre gar kein Problem. Er sei nur noch auf Arbeit, aber wir sollten schon mal zum Haus seiner Familie fahren. Dort sammelte uns sein jüngerer Bruder Sina auf und umsorgte uns den restlichen Abend. Zwar waren wir hier auf einer halben Baustelle gelandet, aber die Herzlichkeit der Familie machte alles wett. Sina brachte uns einen Teppich als Schlafunterlage, Tee, Wasser, Datteln, schließlich auch noch Firni und Kartoffelsalat zum Abendessen. Anschließend lernten wir die Familie im „fertigen“ Teil des Hauses kennen. Pouya selbst konnte nur auf einen kurzen Sprung vorbeikommen, denn er arbeitete am Flughafen und seine Schicht war noch längst nicht vorbei. Umso großherziger waren seine spontane Gastfreundschaft und auch die Bereitschaft seiner ganzen Familie, uns so unangekündigt aufzunehmen.
Am Morgen fuhren wir zeitig auf der Stadt hinaus und trafen bei der Frühstückspause an einer Raststätte zwei iranische Fahrradfahrer. Die beiden Jungs waren auf einmonatiger Radtour quer durch’s Land. Warum man so ein Unterfangen in der heißesten Zeit des Jahres startet, war uns nicht ganz klar. Bei freier Terminwahl wären wir niemals jetzt unterwegs gewesen, denn man schwitzt sich einfach kaputt. Kurz genossen wir noch die angenehmen Temperaturen des Gebirges, doch nach Erklimmen der höchsten Stelle und des Passierens eines angsteinflößenden Tunnels ging es nur noch bergab in die unerträglich feuchte Hitze des Kaspischen Meeres. In unzähligen Serpentinen wanden wir uns auf Meeresniveau herunter, vorbei an hunderten Ständen mit den immer gleichen Produkten, hier vor allem Honig. Erneut stellte sich die Frage nach dem ausgewogenen Verhältnis von Angebot und Nachfrage… Kurz vor Astara stoppte uns die Polizei. Aufhänger war anscheinend mein hochgekrempeltes rechtes Hosenbein. „This is Islamic country“ grummelte der Beamte und deutete auf dieses verführerische Stück Fleisch, sprich meinen Unterschenkel. Was? Nein, echt? Islamisch? Hab ich noch gar nicht mitbekommen. Dank unzureichender Alphabetisierung dauerte die Passkontrolle angesichts der quälenden humiden Hitze viel lang. Dabei ist unser Visum auf Farsi… An einer Raststätte suchten wir wieder Schatten, da hatten uns auch schon bald die beiden Iraner wieder eingeholt. Sie beendeten ihren Fahrradtag aber bereits am nahgelegenen See, während unser Ziel war, so weit wie nur möglich zu kommen. Denn genau jetzt, als Umdrehen keinen Sinn mehr machte, hatten wir die E-Mail mit unserem Letter of Invitation für das Usbekistan-Visum gelesen, bereits zwei Tage alt. Welch Ironie, dass wir genau zwei Tage zuvor zu diesem „Umweg“ gestartet waren, anstatt den direkten und schnellsten Weg nach Teheran einzuschlagen. Nun ergoss sich Klaus natürlich rechthaberisch in Vorwürfen wie „ich habe ja gesagt, lass uns den Zug nach Teheran nehmen“. Tatsächlich war es meine Schnapsidee gewesen, doch wenigstens einmal das Kaspische Meer zu sehen. Leider wird beim Blick auf die Landkarte nie ersichtlich, wie schön oder hässlich eine Route tatsächlich ist. Diese hier war megahässlich. Die Natur ringsherum war natürlich wunderschön. Die grünen, bewaldeten Berge breiteten sich urwaldartig zu unserer Rechten aus – ein kleiner Hauch von Südostasien wehte hier durch’s Land, riesige Reisplantagen erstreckten sich entlang der Straße. Zu unserer Linken sahen wir leider nur ab und an das Meer. Zu weit entfernt lag die Straße von der Küste. Aber der Knackpunkt, den wir nicht ahnten, war: es handelte sich um die am dichtesten besiedelte Region des Iran und entsprechend reihten sich hässliche Städte auf dieser Straße, nein, fast schon Highway, wie an einer Perlenschnur aneinander. Jede Stadteinfahrt bedeutete holprigen Straßenbelag, dichten, chaotischen Verkehr und unzählige Menschen am Wegesrand. Viele grüßten uns freundlich, aber viele haben uns einfach nur genervt in ihrem Aufmerksamkeitsbedürfnis. „Mister, Mister, how are you, where are you from?“ wurde spaghettimäßig aneinander gebrabbelt oder besser aufdringlich geschrien. Ab und an ist das ja ok, aber alle paar Meter ist es einfach nur anstrengend. Bzw. hört man mit der Zeit auch ziemlich schnell heraus, wer sich tatsächlich über uns freut und wer einfach nur dümmlich-neugierig-aufdringlich ist. Den Supergau in sengender Hitze verursachte dann der Freund und Helfer Polizei. Eine erneute Passkontrolle war nicht genug. Wir wurden zur Polizeistation eskortiert und während Klaus hineingebeten wurde, musste ich draußen warten wie ein Hund. Natürlich durfte ich mich nicht irgendwo hinsetzen, sondern musste bei den Rädern bleiben, sodass sie mich sahen. Da die Beamten mal wieder für alles zu dumm waren, dauerte die Kontrolle eine halbe Ewigkeit, in der ich keinerlei Kenntnis davon bekam, was hinter der Tür geschah. Das rüttelt doch ganz schön am Nervenkostüm und nach all den seltsamen Menschen konnte ich das nun am wenigsten gebrauchen. Allein in einer hässlichen Stadt auf einer noch hässlicheren Straße in unerträglichem Klima und mein Mann, der die Strecke im Gegensatz zu mir gar nicht unbedingt fahren wollte, festgehalten von strohdoofen Polizeibeamten. Angesichts der bescheuerten Entscheidung, hier lang zu fahren, rannen mir die Verzweiflungs- und Enttäuschungstränen über die Wangen. Und was geschah im angeblich so hilfsbereiten Iran? Keine Sau interessierte sich für mich. Auf einmal ist niemand da, dann wenn du wirklich jemanden bräuchtest, der dir vielleicht mal eine Wasserflasche reicht oder sich für dich und deine Probleme interessiert. Welcome to Iran? Für den Arsch. In diesem Moment wollte ich einfach nur raus aus diesem schizophrenen Land. Do you like Iran? No, definitely not. Rückblickend muss man natürlich sagen, dass wir mit unserer Routenwahl wohl wirklich die Crème de la Crème der Scheiße abgegriffen haben. Wären wir dem Highway nach Teheran gefolgt, wären uns z.B. die nervigen Kontrollen der Grenzpolizei erspart geblieben. Nun waren wir aber hier und mussten das Beste draus machen.
Nachdem Klaus wieder in die Freiheit entlassen wurde, radelten wir weiter, bis uns der knurrende Magen zu einer Pause zwang. Dabei trafen wir einen Motorradfahrer aus der Schweiz, der im Gegensatz zu uns restlos begeistert von Land und Leuten war. Er bekam mit seinem Untersatz natürlich auch nicht die aufdringlichen „Mister-Mister“-Rufe mit und auch die Müllhaufen am Straßenrand flogen an ihm mehr vorbei als an uns (und das Müllproblem ist wirklich arg). Motorisiertes Reisen ist durch die Geschwindigkeit eben doch ein ganz anderes Erlebnis. Und noch vor kurzem wollten wir es ja selbst nicht glauben, als uns das portugiesische Pärchen in Georgien erzählte, dass der Iran nicht unbedingt das grandiose Reiseland war als das es immer angepriesen wird – zumindest nicht zum Radeln.
Nach weiteren 45 km und damit insgesamt 145 Tageskilometern fanden wir nach Empfehlung von Einheimischen in Talesch einen weit entfernt von der Straße gelegenen Zugang zum Meer. Tatsächlich handelte es sich hier um einen richtigen Campingplatz mit Infrastruktur wie Shops, Bäcker, Sanitäranlagen und Restaurant. Der Besitzer war stolz uns zu empfangen und ließ uns kostenlos kampieren, während die anderen Gäste kleine Tickets bekamen. Er drückte uns noch ein ofenwarmes Brot in die Hand und zeigte uns, wo wir unser Zelt aufschlagen konnten. Wie schade, dass wir erst so spät an diesem idyllischen Fleckchen ankamen! Doch wie vom Pech verfolgt, war auch hier nicht alles eitel Sonnenschein. Ich stand gerade splitterfasernackt in einer der überaus dreckigen Duschen, unter denen man sich kalt abbrausen konnte, da steht auf der anderen Seite der Tür ein Mann und glotzt durch das Milchglasfenster herein. Ich schrie ihn an, dass er abhauen soll und nach gefühlt viel zu langer Zeit tat er das auch. Als ich zum immer noch nicht aufgebauten Zelt zurückkehrte, weil Klaus von einer netten Familie in ein Gespräch verwickelt wurde, konnte ich nun gezeichnet von den Erlebnissen des Tages nicht mehr anders und brach vor versammelter Mannschaft in Tränen aus. Noch nie auf dieser Reise habe ich mich so unwohl gefühlt und dabei hatten wir noch so viele Tage in diesem frauenfeindlichen Land! Natürlich stand sofort eine Traube aus fürsorglichen Menschen um mich herum, man wollte den Bürgermeister anrufen und die Frauen ließen es sich nicht nehmen, den Zeltplatzbesitzer rund zu machen. Da adoptierte uns Reza aus Teheran und führte uns zum Zelt seiner Familie. Wir ließen uns direkt daneben nieder, aber nicht nur, dass wir jetzt in Sichtweite unserer „Beschützer“ waren. Nein, wir wurden regelrecht gezwungen, am abendlichen Grillerchen teilzunehmen. Reza, seine Frau, die kleine Tochter (ca. 5 Jahre) und der erst wenige Monate alte Sohn nahmen uns in ihre heile Welt auf, es gab Melone, gegrillten Mais, Fisch und Reis und das obwohl wir schon nach den ersten zwei Gängen satt und müde waren. Man ließ uns aber nicht gehen und gab uns eher noch mehr auf die Teller. Gegen Mitternacht schafften wir es, uns von dieser großherzigen Familie loszureißen, die leider kaum ein Wort Englisch sprach, sodass wir uns primär mit Händen und Füßen bzw. Wörterbuch verständigten.
Am Morgen dachten wir, dass die Iraner, wenn sie schon bis in die späte Nacht hinein picknickten, dann wenigstens richtig ausschlafen. Aber weit gefehlt, sie wuselten genauso zeitig umher wie wir und als wir gerade dabei waren, unser Frühstück zuzubereiten, rief uns Reza erneut zur Familie herüber, mehrfach. Wir wollten aber wirklich gerne unser Radlerfrühstück zu uns nehmen (ich habe Klaus erfolgreich an Porridge gewöhnt), schlugen die Einladung also aus, kamen aber nochmal zu einer kleinen Fotosession herüber und schenkten der Tochter Gummibärchen, die wir sogar noch aus Deutschland importiert hatten.
Der Weg nach Rasht wurde nun leider nicht viel schöner, außer, dass wir mal kurz durch eine Art „Dschungel“ fuhren. Diese exotische Wildnis währte jedoch nur kurz und auch die Strecke über Bandar Anzali, die wir in der Hoffnung auf Strandnähe gewählt hatten, erwies sich nicht gerade als Glücksgriff. Wie am frühen Morgen auf dem Zeltplatz sprang ich mal wieder mit voller Klamotte ins Wasser, weil es die versprochenen Frauenbadestrände mit Vorhängen schlichtweg nicht gab. Aber besser als kein Wasser bei dem Dauerschwitzen war es allemal.
Viel zu spät und zu fertig kamen wir in Rasht an und wir wollten eigentlich nur noch unsere Ruhe, weshalb wir nicht nochmal Warmshowers aktivierten, sondern direkt in ein günstiges Hostel wollten. Als wir nur kurz hielten, um uns zu orientieren, umzingelte uns wieder eine Menschentraube und ein älterer Herr kaute uns in gebrochenem Deutsch ein Ohr ab, empfahl uns ein fürchterliches und teures Hotel, welches uns wieder Zeit kostete und so landeten wir damals bei der Ankunft in Tabriz in einer Kaschemme, viel zu teuer für den gebotenen Standard. Aber die Motivation, weiter zu suchen, war am Boden.
Am nächsten Tag bei klaren Sinnen konnten wir schon wieder ganz anders an die „Geschäfte“ gehen. Nun hieß es nämlich, die erste Busfahrt samt Fahrrädern zu bestreiten. Am Eingang vom Busterminal wollte man uns natürlich direkt abzocken mit horrenden Preisen, bei denen wir nicht glauben konnten, dass sie nicht unterboten werden könnten. Und gleich die nächsten Busfahrer, die uns zu sich riefen, machten ein äußerst faires Angebot. 500.000 Rial für rund vier Stunden Busfahrt nach Teheran. Just als wir alles verladen und im Bus Platz genommen hatten, verlangten diese Füchse von uns nochmal denselben Betrag für die Fahrräder. Der Preis war zwar immer noch human, aber vom Prinzip her ist es natürlich alles andere als fair, uns den vollen Preis nicht schon zu sagen, wenn wir mit den Fahrrädern vor ihnen stehen. Brav wie wir sind, zahlten wir ohne uns zu beschweren.
Die Fahrt verging wie im Flug und wir wurden von Teheran mit erdrückender Hitze empfangen. Am Busterminal trafen wir Peter und Marc aus Thüringen, Radreisende mit dem gleichen Los (warten auf Visa), die nun zu ihrer Busrundreise durch’s Land starteten. Patrick und Rosie haben wir leider nicht mehr treffen können, da sie, als wir endlich die Unterkunftssuche durch den trotz Feiertag anstrengenden Großstadtverkehr beendet hatten, bereits auf dem Weg zum Bahnhof waren, von wo aus auch sie Richtung Shiraz aufbrechen wollten. Immer noch ihr LOI für Usbekistan erwartend, wollten sie die Zeit natürlich nicht ungenutzt in Teheran verstreichen lassen. Wir landeten derweil im Hotel Mehr, da uns auch die umliegenden Hostels keinen besseren Preis machen konnten. Uns wurde von einem perfekt deutschsprechenden Rezeptionisten gewährleistet, dass wir Fahrräder und Gepäcktaschen für die Zeit unserer Abwesenheit dalassen konnten. Sogar die letzten Dokumente für unsere Visa-Anträge durften wir bei ihm ausdrucken. Der Spaziergang durch die Straßen war dann wenig befriedigend. Außer den Motorradshops bei uns um die Ecke hatte eigentlich nichts geöffnet, kein Eiscafé, kein Restaurant, keine Handicraft-Stores… Lediglich ein paar Imbisse und im billigsten genehmigten wir uns dann richtig gute Hausmannskost: Pizza!
Der Fokus lag nun auf den Visa-Anträgen. Am späten Abend riefen wir erwartungslos bei der usbekischen Botschaft an, um uns nach den Öffnungszeiten zu erkundigen. Zu unserer Überraschung hob eine Frau ab und konnte uns trotz fehlender Englisch-Kenntnisse beim Schlagwort „Visa“ antworten: „Tomorrow, tomorrow“. Diese Info, dass wir nun wohl wirklich die Botschaften am Feiertag abfrühstücken konnten, schickten wir Alan, dem nach Kanada emigrierten Iraner, der uns seit dem Urmye-Lake quasi adoptierte und ständig wissen wollte, wann wir in Teheran sind, damit wir dann gemeinsam nach Shiraz fahren konnten, wo er uns Familie und Freunden vorstellen wollte. Dieser rastete jedoch komplett aus, weil wir vorschlugen, dass er nicht auf uns warten soll, falls wir Turkmenistan nicht schaffen sollten, schließlich wollte er zwei Tage später pünktlich auf einer Hochzeit sein. Der darauffolgende WhatsApp-Dialog wäre einen separaten Blogbeitrag Wert und würde den Rahmen hier sprengen. Fakt ist: der Typ hat eine Macke und endete mit den Worten „no free ride for rude tourists“. Wohl gemerkt haben wir ihn selbstverständlich nie darum gebeten, uns mitzunehmen, er hat sich die ganze Zeit aufgedrängt und uns ständig geschrieben oder angerufen. Uns war dabei schon manchmal nicht ganz wohl, trauten uns aber nicht, ihm vor den Kopf zu stoßen. Auch wenn es als weitere Episode in die unendliche Geschichte „Shock moments in Iran“ einging, waren wir froh, dass der Urknall passierte, BEVOR wir mit ihm auf Tour gegangen sind. Am selben Abend lernten wir Amin kennen, der zeitgleich mit unseren Botschaftsgängen sein Deutschland-Visum für ein baldiges Studium beantragte.
Zeitig brachen wir auf, da uns die beiden Thüringer gewarnt hatten, dass man doch eine ganze Weile braucht. Bis zur Endstation ging es mit der Metro, dann viel Fußweg und natürlich waren wir zu früh und natürlich hing ein Zettel am Konsulat, dass heute geschlossen war. Ich rief wieder bei der Botschaft an und erneut wiederholte die Frau beim Stichwort „Visum“: „open, open“. Dann war die Verbindung weg. Warten. Es war 10 vor 9. Ein Wachmann oben auf der Treppe deutete uns an, zu warten. Zumindest hofften wir, dass seine Gesten dies bedeuteten. Warten. Um 9. Die Tore weiterhin verschlossen. Warten. 10 nach 9. Wie lang wollten wir noch unsere Zeit verschwenden? Viertel 10: Ein Auto fährt vor! Ein netter Mann steigt aus! Der nette Mann nimmt uns die Treppen mit hinauf, juhuuuu! Wahrscheinlich als Exklusivgäste heute auf dem Konsulat erhielten wir nicht nur unser Visum, sondern auch gleich noch ein dickes Buch über die usbekische Geschichte dazu. Hätten wir ihm in diesem Moment sagen sollen, dass wir das unmöglich im Radreisegepäck gebrauchen konnten? Egal. Nun ging das Gehetze erst richtig los: wir brauchten eine farbige Kopie des Usbekistan-Visums, in der Botschaft konnten sie nur schwarz-weiß anfertigen. Puh, der Copyshop hatte geöffnet. Die Kopien waren trotzdem schwarz-weiß. Nein, bunt könnten sie nicht. Egal, weiterlaufen, laufen, schwitzen laufen. 10:15 Uhr: verschlossene Türen bei der turkmenischen Botschaft. Wir bitten den Wachmann um Hilfe. Er klingelt. Nichts passiert. Er klingelt wieder, wir sollen sprechen. Man antwortet uns, wir sollen rechts beim Fenster warten. Warten. Warten. Der hölzerne Fensterladen öffnet sich, ein junger Mann erzählt uns, was wir brauchen und scheint überrascht, wie gut wir alles vorbereitet haben. Auch die Schwarz-Weiß-Kopie ist in Ordnung. Wir müssen nur noch unser Anmeldeformular ausfüllen und fertig. In 10 Tagen sollten wir anrufen, um zu erfahren, ob unser Antrag genehmigt wurde oder nicht.
Erleichtert liefen wir im Sonnenschein zur Tajyesh-Metro-Station und wussten gar nicht, was wir mit dem Tag im immer noch toten Teheran anfangen sollten. Ok, ein paar Läden hatten natürlich geöffnet, aber nichts wirklich Tolles. Der Bazar war auch tot. Wir aßen aber recht leckeren Kebab mit Reis, das Gericht, von dem alle Iran-Touristen rasch angeödet sind, welches wir aber genau wegen dieser Geschichten bislang gezielt vermieden hatten. Nach viel Recherche stand auch der Plan für die nächsten Tage: eine Bustour durch das noch heißere Innere des Landes…
Ein Auf und Ab… das kommt auch in den besten Familien mal vor! Lasst euch nicht entmutigen. Ich fühle mit Euch und bin mal wieder total geplättet von deinen Erzählungen, Euern Erlebnissen und den wunderschönen Bildern!!! Bringt ihr die Rezepte mit nach Deutschland. Das Essen sind zum dahin schmelzen aus.
Ich freue mich auf weitere Stunden des lesens!!!
Viel Spaß und Erfolg noch!!!
Oh, euer neuer Reisebericht lässt auf eine Gefühlsachterbahn schließen. Mensch, Antje, allein sollst du dich trotz großer Distanz zur Heimat bitte nicht fühlen. Es gibt doch Telefone. Ich hoffe, die Wogen haben sich im mittlerweile übernächsten Land nach dem Iran etwas geglättet und ihr rollt wieder voller Zuversicht und Vorfreude auf’s Pamir voran…