Pünktlich um 5.45 Uhr saßen wir im Bus Richtung Teheran. Mohammed und Frau sind extra wegen uns noch eher aufgestanden als sowieso schon und haben hoffentlich noch einen Powernap in ihrer bzw. Amins Wohnung einlegen können. Sicher wollten sie uns vor einer erneuten Taxi-Abzocke bewahren… Während die Busfahrt komplikationslos verlief, standen wir an der U-Bahn-Station des Südterminals viel zu lange in erstickender Hitze, denn ganze zwei U-Bahnen mussten wir fahren lassen, weil sie einfach dermaßen voll gequetscht waren, dass wir für uns keinen Platz sahen. So muss es in Tokio oder Peking aussehen. Bei Anlauf Nr. 3 pressten auch wir uns hinein und da war er, der Grabscher an den Hintern, dessen Urheber natürlich in dieser Masse nicht auszumachen war. Schreit man nun den ganzen Wagen zusammen oder geht man einfach darüber hinweg? Natürlich hoffen diese bekloppten Perversen auf letzteres. Von Rosie wissen wir, dass sie mit ähnlichen Dingen zu kämpfen hatte. Traurig, aber wahr, die „Women only“-Abteile sind absolut notwendig. Ein weiteres trauriges Kapitel in der iranischen Gesellschaft…

Wir hetzten zur turkmenischen Botschaft, es war mittlerweile nach 10. Schwitzend kamen wir am verschlossenen hölzernen Fensterladen an, vor dem sich bereits zwei Japaner und ein Iraner versammelt hatten. Wir erweiterten uns um noch zwei Iraner und einen Tschechen, der mit uns das Gespräch auf Deutsch suchte. Seine Fehlerfreiheit erklärte sich schnell: seine Mutter war Deutsche und er hatte bereits zwei Jahre in Dresden studiert. Dann öffnete sich das Fenster, alle waren nervös. Ich gab unsere Ausweise hinein, man befahl uns zu warten und das Fenster schloss sich wieder für eine gefühlte Ewigkeit. Sasha konnte uns ein bisschen von unserer Nervosität ablenken, die nun ins Unermessliche gestiegen war. Und dann plötzlich das Geräusch von zwei Stempeln! Sollte das etwa wirklich…. ? Das Fenster öffnete sich und der Mann mit dem gütigen Gesicht übergab uns die Pässe mit der Bitte um 110 Dollar. Selten zuvor sind wir so gern so viel Geld losgeworden! Ein riesiger Stein purzelte uns vom Herzen, mit dem Wehmutstropfen, dass wir die Freude leider mit niemandem teilen konnten, da alle um uns herum gerade einmal die Hürde des Antrags hinter sich gebracht hatten. Und auch Rosies und Patricks Antrag, nach dem wir uns erkundigten, war noch in der Schwebe. Wir feierten unseren Erfolg mit einem äußerst leckeren Softeis und liefen noch mit Sasha zur Metrostation. Er war Motorradfahrer und noch etwas länger im Iran unterwegs. Wer weiß, vielleicht braust er ja in Turkmenistan oder Usbekistan an uns vorbei…

Wir fuhren zu unserem Hotel, wo mal wieder das Abzockertum durchkam. Langsam haben wir wirklich genug von derartigen Erfahrungen. Das Hotel Mehr, das für seine Zimmer mit dem mageren Frühstück eh schon zu viel verlangt, hatte es drauf, uns für das Aufbewahren von Fahrrädern und Taschen 10 € in Rechnung zu stellen. Wir hätten es gerne vorher gewusst, denn die Lagermöglichkeit war überhaupt die Grundvoraussetzung, weshalb wir hier geblieben waren. Wenn wir da an unseren lieben Georg in Tbilisi denken, der trotz beschränkten Platzes unser Gepäck ewig und drei Tage aufbewahrt hätte…. Man hatte uns vor der Habgier der Armenier gewarnt, doch gefunden haben wir sie leider hier.

Etwas frustriert, denn wir hatten soeben unsere letzten Rial verloren, schwangen wir uns wieder auf die Fahrräder und wie zu erwarten waren die 8 km bergauf durch die Stadt natürlich keine Genussfahrt. Noch dazu hatten wir Mühe, eine Wechselstube zu finden. Alle Banken und alle „exchange offices“ schienen geschlossen. Schließlich kamen wir doch noch an die nötigen Rial für die Busfahrt und auch im erdrückenden Verkehr gab es einen Lichtblick. An einer Ampel drehte sich ein Motorradfahrer um und drückte Klaus zwei dicke, runde Pflaumen in die Hand. Am Bus-Terminal wurden wir zum Schalter von Royal Safar gelotst, wo man uns versicherte, die Fahrradmitnahme sei kein Problem, nur der Preis würde dann vom Fahrer abhängen. Erst in drei Stunden sollte unser Bus gehen. Wir verbrachten die Zeit im Park und als wir uns ans „Boarding“ machen wollten, kam der Schock: die Ladefläche war voll mit irgendwelchen Kisten, noch bevor irgendein Gast nur einen Koffer hineingelegt hatte. Und nun? Die Busfahrer sahen auch etwas ratlos aus. Top Kommunikation zwischen der Administration und den Fahrern! Die falschen Versprechungen führten zu einem heillosen Chaos. Wir sollten nun mit einer anderen Gesellschaft eine halbe Stunde später fahren. Viele Männer standen um uns herum und jeder meinte, etwas besser zu wissen. Wir sollten das Ticket reklamieren und das Geld nehmen, da eh niemand unsere Fahrräder mitnehmen würde, wir sollten das Ticket bei Seiro Safar noch umtauschen, wir sollten einfach da stehen bleiben und abwarten… Wir entschieden uns für Letzteres bis der Typ von Royal Safar uns mitnahm. In der Zeit fuhr unser ursprünglicher Bus an uns vorbei. Der gesamte hintere Teil war leer, sodass wir uns ernsthaft fragten, was das Problem gewesen wäre, die Fahrräder zwischen die Sitze zu stellen. Denn, surprise, surprise, im Seir-o-Safar-Bus sah die Situation exakt genauso aus, nur noch mehr Fahrgäste. Sprich: aufgrund anderweitiger Fracht mussten Teile unseres Gepäcks auf die Treppe gestellt werden und die Fahrräder meinte man dann, mit aller Gewalt in den Sitzbereich hieven zu können. Wir stießen Schreie des Entsetzens aus und voller Sorge über unsere zwei geliebten Untersätze übernahm Klaus das Kommando. Diese Leute hatten weder Ahnung, was sie da taten, noch welchen Wert unsere Fahrräder für uns haben. Dann durften sie nicht einmal im Gang stehen, sondern wurden auf das Frachtgut auf der Rückbank gelegt. Mit Spanngurten und Decken versuchten wir unser Bestes und beteten die folgenden zwölf Stunden Fahrt, dass sie es gut überstehen mochten.

Bei Ankunft in Maschhad mussten wir ganz schön wegen des Preises für die Fahrräder diskutieren, doch nachdem das Problem aus dem Weg geräumt war, konnten wir uns dem nächsten widmen: schlängeln durch den Verkehr der zweitgrößten Stadt des Iran. Ehsan und Shima (= Shimsan), unsere Warmshowers-Hosts für die nächsten zwei Nächte waren leider noch nicht zuhause, sodass wir uns in einen Park vor der Hitze flüchteten. Bei den beiden gab es dann saftige Wassermelone und einiges an Tipps und Tricks während unseres Fahrradpflegenachmittags. Ehsan hatte wirklich viel Ahnung und empfahl uns auch noch einen guten Fahrradladen, wo wir am Abend für mein Fahrrad eine neue Kette kauften. Unsere zahlreichen steilen Gebirge in Georgien und Armenien zum Teil über Schotter und Schlamm hatten deutliche Spuren hinterlassen. Am Abend lud uns Ehsans Schwester dann auch noch zum Geburtstag ihres Sohnes ein, wo wir im Gespräch mit einigen Familienmitgliedern mitbekamen, wie die Familie im Begriff war, sich demnächst über die Welt zu verstreuen – ein Teil nach Kanada, ein anderer nach Belgien. Und eigentlich passten Shimsan auch nicht richtig in dieses Mullah-Regime. Aber es braucht ja auch die klugen und kreativen Köpfe, die dableiben und versuchen das Land ein bisschen besser zu machen. Am nächsten Morgen früh um 7 stand Ehsan z. B. zu einer kleinen Critical Mass Veranstaltung bereit, als wir noch nicht annähernd in der Lage waren, aufzustehen. Leider hatten Shimsan dann auch jobbedingt nur wenig Zeit für uns und wir waren Sightseeing-mäßig ziemlich gesättigt, sodass wir uns zu keinen tollen Aktivitäten aufraffen konnten. Zudem warteten wir noch eine Weile auf ein Zeichen von Patrick und Rosie, die nun auch in der Stadt waren. Leider hatten sie wahnsinniges Pech mit der turkmenischen Botschaft. Ihre Visa-Beantragung muss einfach mal komplett verloren gegangen sein und der Beamte machte ihnen keine große Hoffnung auf eine positive Antwort aus Ashgabat, wenn sie sich noch einmal bewerben würden. Also zogen die beiden ihre Konsequenzen und verbrachten den restlichen Tag mit der Suche nach Flügen Richtung Pamir, sodass für und keine Zeit mehr blieb. Wir wurden hingegen von einem verrückten Sanitärgeschäftbesitzer zum Tee eingeladen und mussten vehement ablehnen, dass er uns nicht in ein Café zum Abendessen einlud. Ganz abgesehen von der späten Stunde, erinnerte er uns zu sehr an Alan. Das wäre Alan Nr. 3 gewesen – nein danke. Spätestens als er uns von seinen deutschen Freunden in Nürnberg erzählte, die meinten Hitler sei ja ein guter Kerl gewesen und alles Negative über ihnen wären Fake News, hatten wir keine große Lust, mit diesem Einfaltspinsel noch mehr Zeit zu verbringen. Nach den ganzen „Ahh, Alman – Arier! Irani – Arier!“-Kommentaren von in Rassenlehre-verhafteten Iranern hatten wir etwas die Nase voll von Nazi-Tendenzen.

Am nächsten Morgen mussten wir Shimsan leider wecken. Die beiden hatten schon wieder vergessen, dass es für uns in aller Früh Richtung turkmenischer Grenze gehen sollte. Nach einer Fotosession und Basteleinlage rollten die Meißner Raeder also endlich wieder! Genau 500 Meter, dann stoppte uns die dämliche Polizei erneut zu einer der lästigen und langwierigen Passkontrollen. Als wir endlich weiter konnten, war der kranke Stadtverkehr in vollem Gange und raubte uns die Nerven. Dann fiel mir auch noch eine meiner Trinkflaschen herunter, jedoch an der denkbar besten Stelle: vor der Feuerwehr. Sofort luden uns die Männer zum Tee ein und sogar zum Mittagessen, was wir aber ausschlagen mussten. Wir wollten weiter. Aber die liebenswerten Männer ließen es sich nicht nehmen, uns noch eine Pralinenschachtel mit auf den Weg zu geben. Und da war er wieder, der schizophrene Iran. In einem Moment sträuben sich angesichts der Polizei die Haare zu Berge und im nächsten Moment ist man überwältigt von der Herzlichkeit einer Feuerwehrbrigade.

Bei unserer ersten Rast nach 40 km trafen wir dann tatsächlich das französische Pärchen, von dem uns Shimsan erzählt hatten. Sie hatten sich auch via Warmshowers bei ihnen gemeldet, nur eben etwas später als wir, fanden aber noch einen anderen Host. Lustigerweise hatten sie das Turkmenistan-Transitvisum für den gleichen Zeitraum. Da die beiden mit 200 kg schwerem Liegeradtandem und Anhänger unterwegs sind, dachten wir, wir wären viel schneller, doch weit gefehlt. Den doppelten Antrieb sollte man nicht unterschätzen. Schnell war also klar: wir können ab jetzt auch einfach gemeinsam radeln. Nach nur 20 km versuchten wir, beim Roten Halbmond, dem iranischen Roten Kreuz, unterzukommen. Dort geben einem herzliche Menschen bereitwillig Obdach und meistens noch Tee und Essen. So die Berichte von vielen Reiseradlern. Doch irgendwie war da keiner. In der direkt daneben befindlichen Moschee jedoch schon und so verwies uns der „Hausmeister“ in einen Raum, der offenbar mal als Laden/Imbiss dienen sollte, jedoch genauso wenig in Betrieb war wie die Bäckerei daneben. Vollkommen verglast wie in einem Aquarium konnten wir uns also auf dem gefliesten Fußboden niederlassen, hatten aber eine Trinkwasserstelle, Toilette und sogar eine Dusche direkt vor der Nase, insofern Luxus pur. Der lustige kleine Kauz, der für das Gelände verantwortlich war, stieg noch mit uns auf eines der beiden Minarette hinauf, doch die Aussicht auf die flache Landschaft war durch die vergilbten Scheiben nur halb so spektakulär wie erwartet. Nach diesem kleinen Workout schmissen wir alles an Essen zusammen, was die deutsch-französische Seilschaft so hergab.

Am nächsten Tag nahmen wir weiter den Kampf gegen den Wind auf und schraubten uns sogar noch über einen Pass in Richtung turkmenischer Grenze. Zum gebührenden Abschluss unserer Zeit im Iran gönnten wir uns in einem Restaurant noch einmal Hühnchen mit Reis, aber eigentlich eher aufgrund Mangel an anderweitigen schattigen Rastmöglichkeiten. Die Anstiegs- und Gegenwindstrapazen wurden belohnt mit einzigartigem Bergpanorama. Ein trockenes Faltengebirge baute sich vor uns auf und auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz konnten wir gemächlich bergab rollen. Naja, so halbwegs. Dank steifer Brise war immer noch Strampeln angesagt. In einem entlegenen Tal, das sonst nur von kackenden Ziegenherden aufgesucht wird, schlugen wir die Zelte auf und genossen ein hervorragendes Konservendosen-Dinner.

Beim frühmorgendlichen Blick aus dem Zelt wurden wir erst einmal von zwei Hirtenhunden skeptisch beäugt. Als diese aber halbwegs sicher waren, dass wir wohl kaum eine Gefahr für ihre Herde darstellten, zogen sie wieder von dannen und auch wir konnten unseren Weg fortsetzen. Heute ging es nun endgültig in den Grenzort Sarakhs. Auf der ermüdenden Strecke kamen uns zwei vom Rückenwind gepeitschte französische Reiseradler entgegen. Sie hatten Turkmenistan in drei Tagen geschafft. Ja, wenn man diesen Wind von hinten hat, glauben wir das gern. Wir kämpften uns weiter den breiten Highway Richtung Grenze, brachten in den örtlichen Läden unsere letzten Rial an den Mann und landeten hoffnungsvoll beim Roten Halbmond. Hier war man anscheinend der Reiseradler so überdrüssig, dass man sich weigerte uns aufzunehmen. Und nicht nur das, wir wurden regelrecht rüpelhaft und gar nicht „Welcome-to-Iran-like“ aufgefordert, unverzüglich zu gehen. Um die Ecke sahen wir die Feuerwehr und da diese in Maschhad solche Schätze waren, hofften wir hier auf mehr Menschlichkeit. Diese versuchten mit uns einen Zeltplatz auszumachen, doch da stand auch schon die Polizei auf der Matte. Jetzt waren wir unter dem Auge der Behörden und durften irgendwie gar nichts mehr. Ein herbei geeilter netter junger Iraner meinte auch nur, dass er uns so gerne zu sich einladen würde, aber dass das unter diesen Umständen auf keinen Fall ginge. Wir sollten nun der Polizei folgen, die uns einen Platz zum Kampieren zeigen wollte. Dieser war die sich unter konstanter Wasserbesprenkelung befindliche Wiese vorm Revier direkt am Kreisverkehr. Wow, einen beschisseneren Zeltplatz haben wir noch nicht gesehen. Dann hieß es, wir sollen gegenüber ins Hotel. Hallo? Haben wir Dollarzeichen auf der Stirn? Ehrlich gesagt, wollten wir in diesem Land nicht noch mehr Geld lassen, das uns in der Summe doch mehr gekostet hatte als erwartet. Dort waren auch schon Peter und Marc gestrandet, unsere zwei thüringischen Radel-Bekanntschaften, die ebenfalls das Turkmenistan-Visum bekommen hatten, jedoch erst zwei Tage später startend. Was sie jetzt schon hier wollten, wussten sie auch nicht so genau. Es folgte eine endlose Diskussion zwischen Polizei, Hotelbesitzer, unserem neuen iranischen Freund, der für uns dolmetschte und noch ein paar anderen Menschen, die wir nicht zuordnen konnten. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit hieß es dann: Zimmer geht klar, 20 Dollar, wir dürfen uns ein Zweibettzimmer zu viert mit Hugo und Céline teilen, quasi als kleine Sparmaßnahme. Eine Einladung zur Hochzeit, die gleichzeitig im Hotel stattfand, gab es obendrein. Doch als wir, nachdem wir uns alle erfrischt hatten, dort mal vorbeischauen wollten, bot sich ein uns sehr befremdliches Bild. Während die Männer draußen im Garten entspannt tanzten und feierten, waren die Frauen in den Kellersaal gepfercht, der aus allen Nähten zu platzen drohte. Als Céline und ich einen Blick hineinwarfen, wurden gerade die Geldgeschenke gezählt. Zu jedem Namen wurde der Betrag durch’s Mikrofon gesagt. Wie furchtbar ist das denn? Zwar wurde uns mit Gesten angedeutet, Platz zu nehmen, doch die Mädels, die uns eigentlich eingeladen hatten, entdeckten wir nicht und nach Bombenstimmung sah das auch nicht aus. Und nach lecker Essen und Getränken, die wir uns nach diesem anstrengenden Abend erhofften, erst recht nicht.

Also quetschten wir uns nur noch zu viert in unser Zweibettzimmer. Während Klaus und ich uns romantisch ein Bett teilten, schmiss sich Hugo mit der Thermarest auf den Fußboden. Nach einer kurzen Nacht stopften wir das magere Hotelfrühstück in uns hinein und begaben uns endlich auf den Weg zur Grenze. Eigentlich ist die fünftägige Durchfahrt durch das heiße, trockene Turkmenistan kein wirklicher Grund, sich zu freuen. Doch wir hatten nach 30 Tagen voller Höhen und Tiefen langsam genug vom Iran und vor allem der chaotische letzte Abend hat diesen zwiespältigen Eindruck vertieft.