Eher als geplant und gedacht übertraten wir die serbische Grenze. Die Beamten waren nett zu uns, erfüllten sogar den Wunsch eines Fotos vor der Landestafel. Noch war die Sonne auf unserer Seite und wir rollten auf mehr oder minder gutem Asphalt Sombor entgegen. Manche Autos hupten zum Gruß – eine Geste, an die wir uns von nun an gewöhnen sollten. Während Hupen in Deutschland eigentlich immer Ausdruck von Zorn und Aggressivität ist, ist es hier gängige Methode, um sich entweder von hinten nähernd dem Objekt anzukündigen (wie das darauffolgende Überholmanöver ausfällt, ist damit aber noch nicht klar – wir hatten auch schon Hupen und anscheinendes Hoffen, das Hindernis, also wir, würden vor Ehrfurcht in den Graben springen, so eng wurde überholt) oder aber um freundlich zu grüßen/anzufeuern. Vermutlich sind Euro Velo 6 Touristen selbst im Sommer ein wahres Kuriosum, denn ganz ehrlich, wer tut sich das hier an?? Aber da ist es doch nett, wenn jedem Radler entsprechende Anerkennung und Aufmerksamkeit zuteil wird.
In Sombor angekommen, trafen wir als erstes wen? Na klar, einen deutschen Reiseradler. Thomas ist schon ein paar Tage länger als wir unterwegs und ist seit dem Start ganz treu der Donau gefolgt – während wir das Gefühl haben, ihr kein guter Reisepartner zu sein. Denn kaum auf dem Euro Velo 6 angekommen und teilweise angeödet, suchten wir immer den nächst möglichen Shortcut. Wir wollen dem Donauradweg gewiss nicht seine Reize in Abrede stellen, aber wenn er nur „Mittel zum Zweck“ und es zudem noch so kalt ist, dann findet man nicht unbedingt an jeder Windung Freude. Auch Thomas kann man bei seiner insgesamt 10-monatigen Reise unter dem Titel „Mit 15 km/h nach Südostasien“ digital begleiten. Während er gerade auf dem Rückweg in sein Hotel war, suchten wir mittlerweile nun doch etwas durchgefroren unsere ein paar Stunden vorher gebuchte Unterkunft. Hinter einer kleinen Kneipe verbarg sich das pittoreske Anwesen, das direkt neben einem Tennisplatz lag. Den Rezensionen zufolge wäre dieser sogar gratis nutzbar gewesen und ich hätte wirklich große Lust gehabt, endlich einmal wieder den Schläger zu schwingen! Leider waren die Gegebenheiten (krank, kalt, 100 km in den Beinen) denkbar ungünstig. Also belief sich unsere Aktivität auf Essenssuche und Altstadt anschauen. Nach einer Stunde Umherlaufens, in der uns ständig Popcorn-Duft in die Nase stieg, der mich an meine schöne Arbeit in der Schauburg erinnerte, blieb die Einsicht: es gibt hier keine Kneipe, nur Eiscafés! Im Normalfall hätten wir über diesen Umstand eher gejubelt, aber es war schon so kalt genug und wir hatten Hunger. Also blieb uns nur: Pizza Cut! Auch später stellten wir fest, dass es in Serbien keine der üblichen Ketten gab – kein Lidl, kein Kaufland, kein McDonald’s… Zumindest lagen keine auf unserem Weg. Nur KFC hat es mysteriöser Weise hierhergeschafft. Mit Fast Food im Bauch konnten wir auch endlich die Sektflasche leeren, die wir anlässlich unserer 1000 km noch in Ungarn gekauft hatten.
Am Beginn des nächsten Tages stand wieder die schwierige Frage, bis wohin ich es mit wachsender Erkältung schaffen würde. Am darauffolgenden Tag war definitiv ein Ruhetag fällig, den wir auch nicht im hinterletzten Kaff verbringen wollten. Insgeheim hatten wir uns schon Novi Sad auserkoren, aber über den normalen Euro Velo 6 binnen eines Tages hinzukommen, war unmöglich bei allem Donaugeschlängel und -gekringel. Also wieder querfeldein! Feld trifft es übrigens wirklich. Serbien ist dermaßen flach, dass es an Monotonie und Langeweile stark mit Ungarn konkurriert. Leider paarte sich diese Einöde nun noch mit zum Teil stark befahrenen Straßen und wenig charmanten Überholmanövern, sodass es okay war, die letzten 20 km wieder dem Euro Velo zu folgen. Hier lagen Sportanlagen, vor allem Tennisplätze, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, sodass schon fast der Eindruck einer Snob-Gegend entstanden wäre. Doch zugleich waren da auch die zum Himmel stinkenden Müllberge mit darin herumstochernden Menschen und Hunden gleichermaßen. Mittendrin in diesem obskuren Schauspiel fragte uns ein Mütterchen auf dem Fahrradweg in halbwegs verständlichen Englisch-Brocken, ob uns nicht kalt wäre? Nein nein, beim Radeln geht das schon. Schließlich bot sie uns an, uns bei sich aufzunehmen (ob im Haus oder mit einer Zeltwiese war nicht ganz klar), aber da wir schon ein süßes Apartment gebucht hatten, mussten wir ihr Angebot ausschlagen. In Novi Sad angekommen, verdichteten sich die Sportanlagen am Wegesrand – von Trimm-dich-Stationen, über diverse Spielfelder hin zu richtigen Laufbahnen. Dick durfte in dieser Stadt bei diesem Freizeitangebot eigentlich keiner sein. Der SMS-Kontakt mit unserem Host lief einwandfrei, sodass wir nach kurzem Kampf durch die Innenstadt tatsächlich von ihm vor unserer Adresse in Empfang genommen wurden.
Das Apartment war für unseren Zweck perfekt. Es gab eine kleine Küche, wo ich allerlei gesunde Kost zubereiten konnte, einen Wasserkocher, mit dem wir ständig Tee aufgossen und eine Badewanne! Seit sicher beinahe 20 Jahren habe ich kein Bad mehr genommen und nun war der Tag gekommen. Schnell noch Eukalyptusöl gekauft und Schwupps, ab ins Erkältungsbad. Auf dem Zenit der Verschleimung beschlossen wir, dass ein zweiter Ruhetag sicher für die weiteren Touren nur förderlich sein würde. Wir verließen die Wohnung nur zum Einkaufen und für einen kleinen Stadtbummel, der aber wegen schlechten Wetters bald wieder abgebrochen wurde. Die beiden Tage bestanden aus schlafen, essen, recherchieren, schreiben, Bilder übertragen, essen, fernsehen (Highlight der Berichterstattung war übrigens Schnee – Schnee auf Dächern, Schnee auf Feldern, Schnee auf Plantagen, Schnee auf Schnee)… So richtig gammeln, ohne jegliche Termine. Klingt vielleicht blöd, aber wir konnten uns nicht erinnern, wann wir das zuletzt hatten. Ich glaube, bei mir war es im Sommer 2009, als ich auf’s Studium wartete. Leider bekamen wir auf diese Weise Nichts von Novi Sad mit außer diversen Mini- und Supermärkten, DM und der Post. Ja, die Post. Drei Tage in Folge hofften wir, ein postlagerndes Päckchen mit Kartenmaterial von Reise Know-How abholen zu können. Doch offensichtlich haben die Osterfeiertage die normale Transportzeit komplett aus den Fugen gebracht.
Ein weiteres Behördenhighlight brachte Klaus’ Recherche auf den Seiten des Auswärtigen Amtes, dass wir uns bei der Polizei zu registrieren hätten. Es war bereits spät und so blieb uns nur, am Abreisetag, dem Freitag, wo wir 100 km nach Belgrad vor uns hatten, noch früh zur Polizei zu hüpfen. Wenn das Prozedere ähnlich wäre, wie damals in Montenegro, sollte das ja nicht lange dauern. Mit Englisch war man wie immer überfordert, die fünfte Kollegin konnte uns dann sagen, dass wir noch 10 Minuten weiter in ein anderes Gebäude müssten. Da standen dann zwei Polizei-Gebäude. Wir entschieden uns für das größere, wo die junge Dame am Empfang abermals komplett kein Englisch konnte und einen „Dolmetscher“, also jemand, der zufällig daneben stand, zu Rate zog. Ach ja, für die Registrierung müssen wir natürlich nach nebenan. In jenes Gebäude, wo an zig Schaltern ellenlange Schlangen standen. Wir erfuhren, dass wir in den 3. Stock, Zimmer 14 müssten. Die unfreundliche Dame in diesem Raum erzählte uns gelangweilt, wir bräuchten noch ein ausgefülltes Formular, das „White Sheet“. Wo? In Box 20. Box was?? Im Erdgeschoss. Oh nein, zurück zu dem Wooling. Wir gingen mit ausgefüllten Formularen und Personalausweisen zurück zur Schnarchnase, äh, Beamtin. Wo wir wohnen? In einem Apartment. Wer der Eigentümer ist? Er muss herkommen? WTF? Wir riefen ihn an, er eilte, er nahm uns die Formulare aus der Hand. Hä? Da er selber schlecht Englisch konnte, rief er seinen Bruder an und hielt mir das Handy hin. „You are German? You don’t need the registration. Only people from Russia and Montenegro need it. Stay chilled.“ Stay chilled??? Wir fühlten uns wie Asterix und Obelix im Behördenwirrwarr und verschenkten gerade wertvolle Radelzeit bei endlich aufgelockertem Himmel! Ich glaubte ihm jedenfalls, während Klaus die nächsten Stunden nicht müde wurde, sich aufzuregen „Aber auf der Seite des Auswärtigen Amtes….“
Die Etappe von Novi Sad nach Belgrad wird als eine der fürchterlichsten Etappen des Euro Velo 6 bezeichnet – zu Recht! Jedoch waren wir durch unsere zahlreichen Landstraßen-Shortcuts derart abgehärtet, dass uns der angekündigte „starke Verkehr“ beinahe normal vorkam. Vor allem ging es erst einmal viel bergauf, was mit einem nach wie vor aktiven grippalen Infekt kein Zuckerschlecken ist. Auch ließ das angekündigte Sonnenwetter auf sich warten, sodass wir bei konstanter Wolkendecke in den Berufs-/Freitagsverkehr Richtung Belgrad eintauchten. Ein Wahnsinn, dass hier kein Fahrradstreifen angelegt wird, sondern sich der Fernradler in Abgasen von unendlichen Auto-, Bus- und LKW-Schlangen im Stop and Go seinen Weg Richtung Hauptstadt bahnen muss, bis schließlich das erlösende Schild kommt. Der Euro Velo verlässt dann zwar die Hauptstraße, schockiert jedoch mit geradezu unbefahrbaren groben, auseinanderklaffenden Pflastersteinen. Nein, auch mit einem 26 Zoll-tout terrain-Fahrrad wären wir da nicht drüber gerollt. Dafür waren die letzten Kilometer vorbei an zahlreichen Hausbooten, die als Clubs und Hostels dienen, sowie entlang der Save mit Blick auf die Belgrader Burg Balsam für das geschundene Radler-Herz.
Wir freuten uns schon bei der Brückenüberquerung auf den Fahrradlift, der uns am anderen Ufer direkt auf den Radweg unterhalb der Burg bringen sollte. Jedoch scheint er personenbetrieben zu sein und hat daher Fahrzeiten, nämlich bis 16.30 Uhr. Wir hatten es 17.30 Uhr – verflixt! So suchten wir den direkten Weg zum Platz der Republik, an dem uns Nemanja erwartete. Via booking.com hatten wir uns ein niedliches Apartment mitten in der Altstadt organisiert, nachdem wir feststellen mussten, dass aufgrund des Marathons (dem größten Sportevent Serbiens) beinahe alles in der Stadt ausgebucht war. Rückblickend ein Glücksfall, denn sonst wären wir wohl gar nicht auf ausgerechnet diese Wohnung und Nemanja als Gastgeber bekommen. Er war der höflichste, gebildetste, korrekteste und bemühteste Mensch, den wir in ganz Serbien kennengelernt haben – und war natürlich nicht aus Serbien, sondern aus Bosnien. Noch Tage später erkundigte er sich via WhatsApp nach unserem Befinden. Er hat sogar das „white sheet“, also unsere Registrierung, ausgefüllt. Es sei Job des Gastgebers, diese Daten aufzunehmen und zur Polizei zu gehen. Ach so? Gut, dass das außer ihm niemand in Serbien gemacht hat… Leider konnten wir seiner Kneipenempfehlung nicht Folge leisten, denn bei den „3 Hüten“ ging zum Freitagabend ohne Reservierung gar nichts. Da wir aber auf einer regelrechten Kneipenmeile wohnten, war eine Alternative nicht weit und wir durften zum ersten Mal dem Grill- und Fleischfetisch der Serben frönen. Bei Dunkelheit streiften wir durch die vielen Wege der Festung und hätten nicht wenig Lust gehabt, noch einen Tag länger in dieser beeindruckenden Stadt zu bleiben. Doch das Schicksal, nämlich die Neuvermietung unseres Apartments, entschied, dass wir weiterfahren sollten.
Endlich war die Sonne mal wieder auf unserer Seite, sodass wir auch die Ausfahrt aus der Stadt frohen Mutes überstanden, auch wenn die „Stadtautobahn“ unseren Nerven einiges abverlangte. Einmal die richtige Auffahrt auf den Gehweg verpasst, gab es kein Entkommen mehr von der Fahrbahn. Anhalten wäre glatter Selbstmord gewesen. Die nächsten 10 km bestand der Euro Velo wieder aus einem Wiesenweg auf dem Damm, auf dem wir gefühlt überhaupt nicht vorankamen. Weiter durch hässliche Städte, Industriehalden und monotones Ackerland kämpften wir uns den Weg nach Stara Palanka. Die letzte Fähre nach Ram hatte gerade abgelegt, wäre uns aber auch nicht mehr nützlich gewesen, da zunächst am anderen Ufer eh keine Aussicht auf eine Unterkunft bestand. Bei der ersten Aufschrift „rooms/sobe“ gab es angeblich kein freies Zimmer. Wir wurden ans nächste Restaurant verwiesen, welches uns wiederum den Weg zu „Sunce“ wies. 10 € kostete hier das Zimmer pro Nase inklusive Frühstück. Klang fair. Was wir leider nicht geschafft haben, mit Bildern einzufangen, war dieser unheimlich abgeranzte Zustand dieser Kaschemme. So liebenswert und nett der Besitzer, die Kellnerin und auch die anderen Gäste waren, so heruntergewirtschaftet war das Gebäude. Wir brachten die Dusche bei brutalem Gestank aus der Toilette so schnell wie möglich hinter uns und bekamen noch ein ganz schmackhaftes Abendessen kredenzt. Die Einladung der „Dorfjugend“, also vier Männer in Klaus‘ Alter, mit zur Party zwei Kilometer weiter zu kommen, schlugen wir angesichts der Fähre früh um 8 und der beinahe 100 km Tagesetappe aus und schliefen stattdessen selig in unseren Daunenschlafsäcken auf den ausgebreiteten Klappsofas.
Um 7.15 Uhr – wie vom Wirt, der stark an Quasimodo erinnerte, angekündigt – wurde uns eine dicke Ladung Eier, Würstchen und weißer Käse serviert. Als einzig geöffnete Kneipe kehrten die Fährmänner natürlich auch bei uns ein und qualmten, was das Zeug hielt. Zigaretten sind in Serbien viel zu günstig, immer und überall wird geraucht, was bei meiner andauernden Erkältung natürlich ein Elend war. Im strömenden Regen legten wir ab mit der Schub-Zug-Fähre. Wir wissen nicht, wie man diese Technik nennt. Auf jeden Fall blieben unsere Fahrräder auf einer Art riesigem Floß, welches von unserem Boot bei Bedarf gezogen, geschoben oder gelenkt wurde. Etwas mulmig ist einem ja schon zumute, wenn man seine beiden Räder mit allem Hab und Gut auf diesem offenen Deck sieht, der stürmischen Donau und dem Regen ausgesetzt. Anfangs wollte ich noch bei ihnen bleiben, aber als alle in dem kleinen Kutter verschwanden, musste auch ich mich überwinden, bei voller Fahrt von einem Boot ins andere zu hüpfen. Man vertraut dann einfach blind diesen Männern, die seit Jahr und Tag nichts Anderes machen, als diese Fähre zu bedienen.
Im strömenden Regen ging es weiter, zum Ferienparadies „Silbersee“ (Srebrno Jezero), der einfach grau und trostlos da lag, durch Veliko Gradiště, welches ebenfalls noch auf Touristen wartet, zur alten Burgruine Golubac. Komplett eingerüstet wird dieses Schmuckstück an der Donau wohl in zwei Jahren für Besucher begehbar sein. Wir begnügten uns mit dem Anblick und wärmten uns bei heißer Schokolade. Kaum getrocknet, suchten uns schon bald die nächsten Regenschauer heim. Dem nicht genug, führte der Euro Velo von der Hauptstraße weg hinunter zu den Ausgrabungsstätten von Lepinski Vir, die sicherlich sehenswert sind, aber ausgerechnet zu dem Zeitpunkt von drei pubertierenden Busladungen belagert wurden. Außerdem hatten wir zu vorgerückter Nachmittagsstunde leider noch einige Kilometer vor uns. Der zunächst asphaltierte Weg führte schließlich in ein Flussbett, welches natürlich bei diesem Wetter nicht einfach so durchfahrbar, sondern allenfalls durchwatbar war. Umdrehen und kilometerweit wieder berghoch zur Straße kämpfen? Oder Augen zu und durch? Wir entschieden uns für letzteres. Die Füße blank zu ziehen war zumindest für mich keine Option, weshalb ich grandioser Weise Gamaschen als Wasserschutz vorschlug. Funktionierte prima! Nämlich fast gar nicht. Gut, es ist nicht gleich alles von oben in die Schuhe gesuppt. Der größte Hohn unserer nunmehr kalt-nassen Füße war allerdings, dass wir uns sogleich wieder zig Höhenmeter zur Straße hinauf kämpfen durften, um letztlich auf derselben Straße zu stehen, von der uns der Euro Velo ein paar Kilometer zuvor runtergelotst hatte. Verarschen können wir uns auch alleine.
Viele Höhenmeter und Längenkilometer später erreichten wir endlich den Etnokomplex Kapetan Mišin Breg. Riesiges Gelände, viele Skulpturen, kein Mensch weit und breit und ein großer Hund. Lara war aber eine Liebe und freute sich über uns. Bald darauf trat ein älteres Ehepaar in Erscheinung. Über Handy erreichten sie ihren Sohn, der mit uns am Telefon alles klärte, das er wiederum mit seinen Eltern besprach und dann war klar: wir sind keine Vegetarier, Abendessen gibt es 19 Uhr, Frühstück um 9. Und welche Wohltat das Essen war! Begleitet von dem leckersten selbstgemachten Honigschnaps, den wir je getrunken haben, konnten wir die alles durchdringende Nässe und Kälte von vor wenigen Minuten beinahe vergessen. Das Abendessen stach das Frühstück ganz klar aus, aber am nächsten Tag war es vor allem das schöne Wetter und der Blick, die uns kaum losreißen ließen. Dazu noch zwei Hunde und ein verschmustes Kätzchen und das Paradies war perfekt.
Da an jenem Tag aber der wohl spannendste Abschnitt des gesamten Donauradwegs bevorstand, mussten wir uns doch verabschieden und die hügelige Strecke zur engsten Stelle der Donau in Angriff nehmen. Die Felsen an beiden Ufern teilen hier den großen und den kleinen Kessel und sorgen damit für eine beeindruckende Kulisse, die uns nicht nur einmal hat anhalten, staunen und fotografieren lassen. Nicht die steilsten Anstiege unserer bisherigen Reise haben es vermocht, uns so langsam über so wenig Strecke hinfort bewegen zu lassen. Am Eisernen Tor, dem Staudamm, der seit den 1970er Jahren die Durchfahrt großer Container- und Passagierschiffe bis zum Schwarzen Meer ermöglicht, verließen wir den Djerdap-Nationalpark und mussten uns wieder an unspektakuläre Eindrücke gewöhnen. Das in der Karte eingezeichnete Zeltplatzsymbol in Novi Sip erwies sich im hiesigen Minimarkt als Trugschluss (Zitat eines Mannes: „I don’t think, it works“), sodass wir in Kladovo auf Unterkunft hofften. Die nach wie vor hartnäckige Verschleimung ließ ein warmes Zimmerchen doch reizvoll erscheinen und wie vom Himmel gesandt, winkte am Ortseingang ein älterer Mann in seinem Auto wie ein Irrer mit einer Visitenkarte. Bei 10 € pro Nase konnten wir nicht „nein“ sagen und fuhren, von ihm eskortiert zum Apartment – direkt am Zentrum gelegen (also einer Fußgängerzone mit Cafés, Bäckern und Kneipen) und mal wieder rundum ausgestattet. Am nächsten Morgen lernten wir auch die dazugehörige Frau kennen – beide waren richtige Schätze, immerzu am Lächeln. Und wieder blieb es nur bei rudimentärer Verständigung. Im nächsten Leben lernen wir Serbisch.
Wir entschieden uns entgegen unserer Gewohnheiten wieder zu einer Kurzetappe von 60 km, um bereits in Negotin die hübsche Unterkunft von Kristina zu beziehen, die uns schon bei Mišin Breg empfohlen wurde. Die letzten Dinar im Portemonnaie wollten wir nicht einfach umtauschen, sondern gebührend ausgeben. Dabei wussten wir gar nicht, dass wir sie in Bulgarien nirgends getauscht bekommen hätten! Alles richtig gemacht 🙂 Bei Ankunft im Zentrum trafen wir zunächst zwei Schwaben, der ältere stammte gebürtig von hier und es machte den Anschein, als kämen sie vor allem gerne zum Kippen kaufen nach Serbien. Nur wenige Meter weiter trafen wir drei Herren – sie bezeichneten sich selbst als die „drei Bayern“ – die wir bereits an dieser Stelle herzlich grüßen möchten und an die wir natürlich auch im Pamir wieder denken werden. Schön zu sehen, dass die Lust auf’s Radeln und kleinere Abenteuer auch bei etwas undankbaren Jahreszeiten (der April macht, was er will, ja ja) scheinbar nie aufhört. Wir wünschen dem Trio weiterhin maximalen Radelspaß und tolle Erlebnisse!
Schließlich kamen wir an, bei einer Kristina im Chaos. Die Telefonleitung vom Nachbarn gekappt, Rohrbruch in einem der Zimmer und dann bei herrlichem Sonnenschein, keine Spur von Gewitter, ein Stadt-weiter Stromausfall. Wir ließen die Sonne auf uns brutzeln und merkten beim Entspannen erst einmal, wieviel wir sonst auf dem Fahrrad sitzen, wenn wir immer erst in den Abendstunden zur Ruhe kommen. Da wir aber gerne am 5. Mai die Fähre gen Batumi erreichen würden, werden die Tage in Bulgarien sicher wieder etwas anstrengender.
Welcher Eindruck bleibt also von Serbien? Wir waren nicht unvoreingenommen, als wir einreisten. Und wir sind nach wie vor gespalten. Es gab hilfsbereite und freundliche Menschen, die uns schon aus der Ferne grüßten, uns eine Unterkunft anboten, uns anfeuerten durch Rufe oder einfach nur Daumen nach oben recken, die uns enthusiastisch zu hupten. Es gab aber auch diejenigen, die bei der Frage „Do you speak English?“ die Augen rollten und uns das Gefühl gaben, dass wir sie gerade eindeutig nerven, es gab die Kinder, die uns auslachten und „fuck you“ riefen, es gab viele verständnislose Blicke und Reaktionen àla „ihr geht uns nichts an“. Es gibt ein riesiges Müllproblem. Niemand trennt Müll, jeder noch so kleine Einkauf (ja, auch ein Produkt), wird in Plastiktüten verpackt, überall am Straßenrand liegen zum Himmel stinkende Abfälle – mal einzeln verteilt, mal als größere Haufen und auch in Form regelrechter Berge. Straßenhunde gibt es allen Ortes. Trotten sie gerade noch treudoof spazierenden Menschen hinterher, packt sie bei unserem Vorbeirollen pure Angriffslust. Aber auch die Wachhunde haben Potenzial, uns das Blut in den Adern gefrieren zu lassen, nämlich immer dort, wo der Zaun dann doch mal nicht durchgehend ist. Bisher blieb es bei kurzen Verfolgungsjagden und lautem Gekläffe, aber mal schauen was Bulgarien in petto hat… Fazit: Unsere Serbien-Zeit stand unter keinem günstigen Stern, was Wetter und Gesundheit betrifft, trotz allem erhält es das Urteil „bereisenswert“ 🙂
Liebe Klantjes,
ihr schreibt ja unglaublich fleißig und sehr ausführlich. Wann fahrt ihr Fahrrad????
Ich bin auf euch durch Thomas aufmerksam geworden, der inzwischen am Schwarzen Meer angekommen ist. Ihn „stalke“ ich natürlich aufmerksamer und öfter, weil er mein Sohn ist. Also, wenn ihr ihn mal wieder trefft, grüßt ihn schön. Ich wünsche euch viel Vergnügen, immer gutes Wetter, Rückenwind, pannenfreies Fahren und alles, was ein Radler so braucht und gut findet.
Liebe Grüße
Maria
Liebe Maria,
danke für diese herzlichen Zeilen! Das freut uns natürlich sehr, dass du den Weg zu unserem Blog gefunden hast. Wir versuchen auch immer, sobald sich die Gelegenheit bietet, Thomas‘ Blog zu verfolgen. Haben soeben seinen Bulgarien-Bericht gelesen – sehr lustig, dass wir uns knapp verpasst haben. Da wir jetzt eine Abkürzung mit der Fähre über’s Schwarze Meer genommen haben, wird es wohl keine zufälligen Treffen mehr geben. Aber wir wünschen ihm natürlich weiterhin alles Gute. Dir/euch daheim wünschen wir viele gebannte Momente vor dem Computerbildschirm, in denen ihr seinen (und vielleicht auch noch unseren) Berichten weiter in Wort und Bild folgt.
Sonnige Grüße aus Batumi!
P.S.: Ich (Antje) schreibe schon immer so ausführlich Reisetagebuch – dieses Mal einfach mit dem Unterschied, dass wir es für die Daheimgebliebenen online stellen. Und mit 10-Finger-System geht das ganz fix auf dem Laptop 😉 Zugegeben, nach einer 115 km-Tour bleibt auch der meist zugeklappt.
Willst du die Reiseberichte nicht mal als Buch, veröffentlichen, Antje? Einmal angefangen lesen sich eure Erfahrungen wie ein spannendes Buch und man möchte immer weiterblättern… Spannendes Fazit zu Serbien! Auf dem Jakobsweg wurde ich auch von einem Hund angegriffen, Gott sei Dank bin ich ohne Verletzung davon gekommen. Aber die Angst ist schon groß bei so einem Zähne fletschenden Tier. Von daher wünsche ich euch, dass das Pfefferspray nie zum Einsatz kommen muss! Viele Grüße von Balkonien
Wow, danke für das Lob! Das hört/liest man natürlich gerne 🙂 Freut uns, wenn wir es tatsächlich schaffen, euch gedanklich mitzunehmen. Aber ob der Büchermarkt für eine „unspektakuläre“ Reise wie diese noch offen ist? 😀
Dass du auch Opfer einer Hundeattacke geworden bist, ist schrecklich! Diese Biester können einem wirklich einen Schock versetzen, der durch Mark und Bein fährt. Unklar, was es da manchmal für durchgeknallte Exemplare gibt und warum bei denen, die einen Besitzer haben, dieser nicht entsprechend anleint/einsperrt. Bei uns sind es jetzt immer Straßenhunde-Rudel, die sich einbilden, irgendwelche Reviere verteidigen zu müssen, sobald wir vorbei radeln. Anschreien funktioniert aber super!
Woww… ich fühle mit euch!!! Behördenwahnsinn, echt klasse!!!
Wunderschön beschrieben eure Tage!!! Klasse Bilder!!!
Macht weiter so!!!
Haha, danke Henry 😉 Und es war alles umsonst… Natürlich hat an der Grenze kein Hahn nach irgendeiner polizeilichen Registrierung gekräht. Da hat uns das Auswärtige Amt umsonst wuschig gemacht.