Nach einem Ruhetag nahmen wir von Khorog und unserer traumhaften Unterkunft Abschied. Optimistisch starteten wir nach reiflicher Überlegung auf die M41 und überließen damit den Wakhan-Korridor den anderen Radlermassen. Wir sollten die Entscheidung nicht bereuen: in einem stetigen Auf und Ab wand sich die Straße am Ghund entlang, wobei wir auf fast 3000 Höhenmeter kletterten. Obwohl wir uns noch immer in einem Flusstal befanden, hatte sich die Landschaft zum Panj völlig verändert. Der Ghund war viel klarer und glitzerte in einem traumhaften Türkis immer fort an unserer Seite, während der Panj eher eine tosende Dreckbrühe war. Zudem wirkte das Tal viel weiter, zugänglicher und damit weniger angst- bzw. respekteinflößend. Wir begegneten bald einem französischen Reiseradler, der uns vorhersagte, dass die vor uns liegende Route wunderschön sei. Bei der späten Mittagspause holte uns Uli, Professor aus Berlin, ein. Dank ihm dehnten wir die Pause viel länger als geplant, aber es war ein belebender, interessanter Austausch. Mit leichtem Gepäck und Mountainbike ließen wir ihn von dannen ziehen. Wir waren heute mal wieder – wie immer nach „Eindecktagen“ in Städten – gut beladen. Nach 60 Tageskilometern wären wir zwar noch im Stande gewesen, weiter zu radeln. Aber zum einen hatten wir die Ratschläge unserer lieben Kathi, ihres Zeichens Ärztin unseres Vertrauens, im Ohr, es gaaanz langsam angehen zu lassen, um nicht eiskalt von der Höhenkrankheit erwischt zu werden. Zum anderen war die Stelle, die sich zu unserer Seite am Fluss vor einem traumhaften Bergpanorama ausbreitete, zu schön, um nicht von uns bezeltet zu werden.
Die Zeltstelle hatte nur eine Tücke: sie lag am Morgen noch lange Zeit im Schatten. Und die Höhe hat uns im wahrsten Sinne eiskalt erwischt. Trotz Inlett und Daunenschlafsack wurde es so frisch, dass wir für die künftigen Nächte wieder die Thermo-Unterwäsche herauskramen würden. Und aufstehen vor um 6 war eigentlich auch nicht mehr nötig, da man sich außerhalb des Zeltes eh nur sämtliche Gliedmaßen abfror. Wir beschlossen, seit Urzeiten mal wieder Porridge und Tee zum Frühstück zu kochen, um uns aufzuwärmen. Nichtsdestotrotz mussten wir auf die Sonne warten, da wir das Zelt so klamm unmöglich einpacken wollten. Also endlich wieder alles wie zum Beginn der Reise ? Nur in etwas höheren Gefilden. 1000 Höhenmeter sollten wir uns auch heute wieder auf 70 km verteilt nach oben arbeiten und immer noch gab es an der Strecke Nichts auszusetzen. Großteils passabler Asphalt, moderate Steigungen, auf die immer ein Ausruhstück entweder flach oder leicht abfallend folgte, Bäumchen überall, der rauschende Fluss zu unserer Seite. Und wie immer freundliche, manchmal euphorische Menschen am Wegesrand, die nicht selten „chai chai“ riefen, deren liebgemeinte Einladung wir jedoch aus Vorsicht immer noch ausschlugen.
In Jelondy erreichten wir schließlich das „Spa Resort“ – was auf Google Maps so luxuriös klingt, ist ein heruntergekommene, beinahe gruselige Anlage, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hat. Unsere Freunde Patrick und Rosie formulierten es ganz treffend: „house of horrors masquerading as a spa“. Eine gelungene Kulisse für einen Horrorfilm wäre es allemal gewesen. Zu allem Übel war im Hauptgebäude wegen Autotouristen für uns kein Platz mehr und wir wurden mit etwas Preisnachlass in die Baracke nebenan einquartiert, die ungelogen mehr an ein Konzentrationslager als ein Hotel erinnerte. Ein bisschen veräppelt kamen wir uns natürlich vor, als wir ausgerechnet die fünf Österreicher aus Duschanbe wiedertrafen, denen wir von diesem Ort erzählt hatten und die ohne uns womöglich niemals hier gelandet wären. Sie besaßen die Nettigkeit, uns vorzuschwärmen, wie „chic“ doch die Zimmer seien. Am nächsten Tag würden sie abreisen, dann könnten wir in ihr Zimmer. Nein danke, so attraktiv fanden wir diesen Ort nicht, dass wir das Bedürfnis nach einer weiteren Übernachtung gehabt hätten. Bzw. hätten wir es sicher getan, hätten sich unsere Körper irgendwie negativ bemerkbar gemacht. Doch wir kamen erstaunlich gut mit der Höhe zurecht und sahen keinen Grund, nicht gleich am nächsten Tag den ersten 4000er-Pass in Angriff zu nehmen.
Die einzigen Duschen befanden sich direkt im Schwefelbad, das im Preis enthalten war (wir zahlten 3 € pro Nase), also rein in die stinkenden, dampfenden Hallen! Abgesehen von deren erbärmlichem Zustand war es natürlich eine Wohltat, die müden Muskeln ins heiße Wasser zu tauchen und etwas herumzuplantschen. Unser Timing war so perfekt, dass wir beide jeweils in unseren geschlechtergetrennten Bädern vollkommene Ruhe genießen konnten. Anschließend versuchten wir unser Glück im Speiseraum in der inständigen Hoffnung auf ein leckeres Plov. Das gab es natürlich nicht, stattessen boten uns die Damen „rice soup“ und „kebab“ an. Beides nicht reizvoll, aber wir gaben der Reissuppe eine Chance, welche soweit ganz ok war (es schwammen sogar noch Kartoffeln und Möhren darin herum), nur das obligatorische Fleischstück voller Knochen, Sehnen und Fett hätte man sich mal wieder sparen können. Schließlich kraxelten wir noch zu dem Teil des Dorfes, wo man uns ein kleines Magasin versprach und nach etwas Herumfragen fanden wir das Kabuff sogar. Aus dem ausgedünnten Sortiment erbeuteten wir eine Himbeerbrause, Kondensmilch und iranische Kekse (die mit der Schokocreme-Füllung!) und waren zufrieden.
Zum Frühstück wurden uns sogleich „eggs and sausage“ angeboten und alleine bei dem Gedanken würgte es mich schon fast wieder. Wir erfragten also, ob wir die Eier einfach als Omelette bekommen könnten und verneinten entschieden die sausages (zur Sicherheit auch auf Russisch). Was wir bekamen, war ein leicht angerührtes Spiegelei, auf das klein geschnittene Würstchen gegeben wurden. Sollte wahrscheinlich so ein Versuch sein wie bei kleinen Kindern oder Männern, denen man Obst unterjubeln will: wenn man es ganz klein schneidet, werden sie es schon essen! Aber wir hatten es zumindest versucht… Das Gute an diesem Fett-Ei-Frühstück mit einer guten Portion Brot ist jedoch, dass es eine ganze Weile Energie spendet. Und die hatten wir an jenem Tag bitter nötig. Der Koitezek-Pass mit seinen 4271 m Höhe war unsere 4000er-Premiere und verlangte uns Einiges ab. Nachdem wir lange Zeit mit gemäßigten Anstiegen geschont wurden, wand sich die Straße nun mehr nur noch aus Schotter, Sand und Stein bestehend in steilen Serpentinen auf eine Hochebene hinauf. Kalter Sturm beutelte uns teilweise ordentlich von der Seite und machte selbst die Verschnaufpausen zu einem anstrengenden Prozedere. Schnappatmung und Schwindel waren der Begleiter jeden Absteigens. Ich entschied, dass es für mich bei den steilsten Passagen, wo die Reifen nicht einmal mehr griffen und man förmlich ins Leere trat, das Beste war, das Fahrrad gleichmäßig den Berg hoch zu schieben. Klaus, der Außerirdische, zog wie immer durch. Die Belohnung nach der Schinderei war ein beinahe noch schlimmerer Belag àla Wakhan-Korridor, d.h. sandige bis steinige Wellblechbiste, die unser Tempo selbst bergab auf ein Minimum reduzierte. Was den Rest des Tages jedoch wirklich entschädigte, war die Mondlandschaft, in die wir nun eingefahren waren. Für kurze Abschnitte kehrte sogar manchmal Asphalt zurück, sodass wir dieses Panorama gebührend auf uns wirken lassen konnten. Wir beschlossen, bis zum Abzweig nach Bulunkul durchzuziehen und bauten in den letzten Sonnenstrahlen des Tages unser Zelt neben der Straße auf.
Es war mittlerweile knackig frisch geworden. Der Wind blies eisig und wir kramten alles an Thermounterwäsche und Wintersachen wieder aus den Fahrradtaschen hervor, was wir drei Monate ungenutzt mit herumgefahren hatten. Nach einer frostigen Nacht verließen wir die M41, die mittlerweile wieder aus gutem Asphalt bestand, freiwillig, um einer sandigen Wellblechpiste (was auch sonst) Richtung Bulunkul zu folgen. In jenem Gott verlassenen Ort gab es aber ein paar freundliche Bewohner, ein Homestay und zwei kleine Magasins mit sehr ausgedünntem Sortiment. Was man definitiv immer bekommt: Kekse, Bonbons, Kondensmilch und Tomatensauce. Und wir hatten Glück, die letzten zwei Sprite abzustauben, denn sonst gab es NICHTS an Getränken, also wirklich Nichts. Der Weg an den Yashilkulsee wurde immer haarsträubender. Steile Kuppen ließen uns teilweise nur gemeinsam die Fahrräder hinaufschieben. Immer wieder blieben wir in sandigen Passagen stecken. Doch der Kampf wurde belohnt, wir erreichten einen der schönsten Zeltplätze unserer Tour. Was uns erst bei nachlassendem Wind auffiel: aus dem Gras ertönte ein ohrenbetäubendes Summen, überall um uns herum waren auf einmal Fliegen- und Mückenschwärme. Wer also denkt, er sei in 3800 m Höhe vor diesem Viehzeug gefeit, der irrt. Glücklicherweise blies den Großteil der Zeit der stete frische Wind, der uns wiederum überlegen ließ, ob wir hier wirklich einen Ruhetag verbringen wollten. Uns war doch ziemlich kalt und der See, so glasklar das Wasser auch war, lud leider nicht zum Baden ein. Mit Neopren vielleicht, aber den haben wir wohl vergessen… Die in der Karte eingezeichnete heiße Quelle war ebenfalls nirgends auszumachen. Zu groß und weitläufig war es hier oben, Schilder gab es keine. Da wir zeitig angekommen waren und bereits viel Zeit zum Entspannen, Lesen, Kniffeln und Kochen hatten, beschlossen wir, entgegen unseres ursprünglichen Plans, direkt am nächsten Tag weiterzuradeln.
Mit einem dank meiner überschwänglichen Kondensmilchzugabe zuckersüßen Porridge genossen wir beim Frühstück den Ausblick auf den Yashilkul sowie die dahinterliegenden schneebedeckten Berge. Auf ähnlich grandiosen Wegen wie tags zuvor rüttelten und schoben wir dem Geysir entgegen, der sich hier irgendwo in Wegnähe befinden sollte. Was auf der Karte mal wieder aussah, wie ein Katzensprung, war eine Halbtagesangelegenheit. Schließlich fanden wir die kleine, stinkende, blubbernde Quelle. Hm, hatten wir uns irgendwie beeindruckender vorgestellt. Von hier aus waren es noch 20 km nach Alichur – eigentlich machbar und sah erneut auf der Karte nicht sehr spektakulär aus. Aber das nun folgende sandige Auf und Ab über eine zwar imposante, aber sowas von nervtötende und auslaugende Mondlandschaft strotzte jeder unserer Erwartungen. Was haben wir uns da eingebrockt!? Freiwillig! Ein Zurück gab es freilich nicht, also weiterkämpfen. Buckel für Buckel, Senke für Senke. Es war bereits 18 Uhr und somit schon kurz vor Sonnenuntergang, als wir in Alichur endlich wieder Asphalt unter den Reifen hatten und nach einer Unterkunft Ausschau hielten. Auf eine weitere Zeltnacht hatten wir in der Kälte keine Lust und ehrlich gesagt, musste dringend eine Dusche her. Und welch Dusche wir fanden! Im Guesthouse Nur stiegen wir ab, nicht ahnend, dass die Besitzer eine regelrechte Sauna in das karge Bergdorf gebaut hatten. Für uns wurde ordentlich eingeheizt und so war die Schöpfkellendusche das Beste, was uns an diesem Abend passieren konnte. Da die Gastgeber zum Abendessen nur Suppe im Angebot hatten und wir mittlerweile die hiesigen Suppen mit inbegriffenem Ekelfleischstück über hatten, kochten wir im wahrsten Sinne unser eigenes Süppchen, bekamen aber sogar noch heißes Wasser für Tee etc. sowie ein frisches Brot gebracht. So ließ sich der Abend aushalten und am nächsten Morgen standen bereits 6.30 Uhr Spiegeleier und Milchreis für uns bereit.
Wir hatten keinerlei Ahnung, dass der Weg auf den Neizatash-Pass (4137 m) so ein Geschenk werden würde. Der immer noch frische Wind ließ uns zwar sämtliche wärmende Fahrradkleidung anschmeißen, peitschte uns jedoch regelrecht das immer noch an eine Mondlandschaft erinnernde Gelände hinauf und ehe wir uns versahen, hatten wir den höchsten Punkt auch schon überwunden. Durchgehenden Asphalt gab es obendrein. Gerade, als wir uns windgeschützt für eine Brotzeit niederlassen wollten, sausten zwei Fahrradfahrer an uns vorbei. Viel zu spät erkannten wir einander, da waren Peter und Marc auch schon auf und davon gerollt. Bergab und mit Rückenwind gab es hier quasi kein Halten mehr. Wir taten es ihnen mit einer Fischkonserve im Bauch gleich und konnten unser Glück kaum fassen. Aber wie immer sollte man sich nicht zu früh freuen, denn schon bald peitschte uns der Wind mal von der Seite, mal von vorne entgegen und machte die letzten steilen Anstiege vor Murghab zu einem echten Schweinehundherausforderer. So kamen wir doch erschöpfter als erwartet im Hotel Pamir an, wo wir an der Gästeliste sehen konnten, dass Marc und Peter natürlich erst kurz vor uns eingecheckt haben mussten. Während wir alle auf die Stromzeiten und damit auch auf wärmende Speisen sowie eine heiße Dusche warteten (19-23 Uhr), fanden wir uns zu einem netten Flurgespräch zusammen. Unsere beiden sympathischen Radlerkumpanen, die wir nun seit Teheran immer mal alle paar Wochen getroffen hatten, mussten sich schon um einiges mehr durch den Pamir beißen, selbst gewählt natürlich. Auf der Nordroute haben sie – auch dank Magenausräumung (es bleibt wirklich keiner verschont) – doppelt so lang wie wir auf der Südroute gebraucht und das Wakhantal hatte ihnen ebenfalls alles abverlangt. Aber so konnten wir trotz Knockout durch Wespen, sinnlosen Paketgewartes in Duschanbe und ebenfalls Lebensmittelvergiftung eben wieder aufschließen. Allerdings haben wir sofort wieder den Anschluss verloren, denn im Gegensatz zu uns wollten die beiden keinen Ruhetag in Murghab einlegen. Leider trafen wir uns auch beim Abendessen gar nicht wie erwartet wieder. Andererseits war es sicher eine kluge Entscheidung der beiden, vor dem großen Ak Baital-Pass zeitig ins Bett zu entschwinden. Wir genossen unseren freien Abend mit fettigen Vorsuppen (keine Ahnung, wie man so etwas Gesundes wie Suppe dermaßen vor Fett triefend zubereiten kann), Plov und Baltika und erlebten sogar noch, wie der Strom um 11 abgeschaltet wurde.
Beim Frühstück genossen wir Gesellschaft von einem amerikanischen Reiseradler aus Seattle, der uns extra aufsuchte, weil er von Peter und Marc gehört hatte, dass wir die Südrouten-erfahren sind. Da der Abschnitt nach Duschanbe noch vor ihm lag, war er natürlich sehr wissbegierig und konnte uns im Gegenzug mit wertvollen Informationen für das Finale unserer Reise versorgen. Er war wirklich ein sehr sympathischer und lustiger Zeitgenosse, den wir aber gleichzeitig auch das letzte Mal gesehen haben. Wir hoffen, dass er eine grandiose Reise nach Usbekistan hatte!
Da wir nun auch erfahren hatten, dass der erste Grenzübergang vor uns lag, an dem nicht die Geldwechsler mit Scheinen wedelten und wir für die ersten Tage bis Osh gerne schon kirgisische Währung haben wollten, versuchten wir unser Glück bei der Amonatbank. Hier hieß es, wir sollten zum Basar gehen. Von den gänzlich aus Containern bestehenden Basar war jedoch nur etwa jeder Fünfte geöffnet und nach Geldwechsel sah hier gleich gar Nichts aus. In einem der Shops fragten wir nach und die Verkäuferin empfahl uns, im Homestay ihrer Tochter in Karakul abzusteigen. Dort könnten wir angeblich kirgisische Som bekommen. Na mal schauen. Ansonsten statteten wir uns mit Obst, Gemüse, Schokolade, Gummitieren und vor allem Souvenirs aus! Die Hüte hier sind zu herrlich, um sie nicht zahlreich mitzunehmen. Beim Abendessen im Pamir Hotel hatten wir heute keine Wahl mehr, es gab sowieso nur Plov. Da es aber deutlich leckerer war, habe ich beim Hineinschaufeln überhaupt nicht an die großen Knoblauchstücken gedacht, die sich immer darin verstecken. Der Geschmack war so nachhaltig, dass ich noch 24 Stunden später etwas davon hatte.
Nach dem Frühstück galt es vorm endgültigen Start auf den letzten großen Pamir-Abschnitt, der gleich mit drei 400er-Pässen aufwartete, noch eine Postkarte erfolgreich abzuschicken. Die Odyssee zum Postamt endete vor einem verschlossenen zerfallenen Gebäude, auf dem zwar noch irgendetwas mit „Potschta“ prangte, eine nette Dame mich allerdings darauf hinwies, dass da nichts mehr ankommt oder versendet wird… nie mehr. Ich solle die Postkarte doch faxen. Ah ja. Wenn ich faxen wöllte, würde ich das tun und nicht Postkarten schreiben. Da uns der Hotelbesitzer den Schlammassel eingebrockt hatte, fuhren wir zum Hotel zurück und übergaben ihm die Karte mit der Bitte, sie doch irgendwie loszuschicken. Er wollte sie beim nächsten Mal mit nach Khorog nehmen. Na mal schauen, ob auf ihn Verlass ist…
Unser Weg Richtung Ak Baital-Pass, mit 4655 m der absolute Höhepunkt des Pamir Highway, war zunächst noch gemächlich und sogar von einigermaßen nettem Wind begleitet. Schnell schafften wir die ersten 30 km und trafen Manu aus Leipzig, die uns entgegen kam. Ein Stück Heimat mitten im Pamir. Nach ausgiebigem Plausch ging es weiter und bald sollten wir die geballte Kraft des schon lange befürchteten Gegenwindes spüren. Wir kamen nur noch im Schneckentempo voran. Die eigentlich noch total humane und leichte Steigung war für unsere Waden wie ein unbezwingbarer Berg. Es war zäh und machte absolut keinen Spaß. Noch schlimmer waren allerdings die unheilvollen, dunklen Wolken, die sich über den vor uns liegenden Bergen auftürmten. Wir nutzten ein Wolkenloch und eine Brücke als Windschutz, um uns aufzuwärmen und dem Wetter die Chance zu geben, sich noch etwas zum Positiven zu bemühen. Der Plan ging auf und als wir nach 70 km ziemlich am Ende waren, schlugen wir so windgeschützt es nur ging unser Zelt in guter Nachbarschaft zu den hiesigen Murmeltieren auf.
Die Nacht auf 4300 m Höhe war eisig. Während in unserem Innenzelt 0 Grad herrschten, waren die Temperaturen draußen unter den Gefrierpunkt gesunken, sodass unser Zelt am Morgen leicht angeeist war. Eine Premiere, da wir die kältesten Nächte zum Beginn unserer Reise beim Mini-Wintereinbruch in Serbien ja krankheitsbedingt in festen Unterkünften verbracht hatten. Dafür war der Himmel wieder strahlend blau, was uns zum Trödeln verleitete. Es waren ja „nur“ 60 km bis Karakul und nach dem Pass fast nur noch bergab… Das sollte uns mal wieder lehren, Strecken im Hochgebirge nie zu unterschätzen. Ehe wir den höchsten Punkt erreichten, war es bereits Mittag. Bald erhielten wir Gesellschaft von einem netten belgischen Radler, der das Pamir-Gebirge vor Jahren auf seiner großen Ausfahrt nur bis Khorog geschafft hatte, und es nun in seinem Sommerurlaub komplettieren wollte. Er war mit leichterem Gepäck natürlich viel schneller unterwegs als wir bzw. hätte Klaus natürlich wie damals bei Ciaran aus Irland sicherlich mithalten können, aber er hat ja mich quasi wie eine Acht als Tempobehinderung an der Backe. Nach dem Pass zogen nicht nur wieder die bedrohlichen Wolken auf, sondern die Straße wandelte sich, wie wir bereits dank Patrick und Rosie wussten, für 20 km in ein unsägliches Waschbrett. Die Zeit rann dahin, die Kilometer nicht. Doch selbst, als der Asphalt zurückkehrte, sorgte das kaum für eine Erhellung unserer Gemüter. Zu sehr hatten wir uns in den Kopf gesetzt, heute zu unserem Hochzeitstag nicht im Zelt zu frieren, sondern in einem warmen, gemütlichen Homestay in Karakul einzukehren. Doch nun stellten sich auf einmal Anstiege in den Weg (nur noch bergab, ja ja) sowie, als diese schließlich aus dem Weg geräumt waren, ein ganz grausamer Gegenwind. Auf der Zielgeraden, die wir wegen Schlaglöchern in ihrer gesamten Breite nutzten, schafften es dann noch zwei Mongol-Rallye-Autos uns fast über den Haufen zu fahren. Dank des Sturmes hörten wir sie nicht kommen, auf einmal war ein Auto ganz nah RECHTS an uns. Ja, man entschied sich einfach mal rechts zu überholen, obwohl unser innerster Instinkt natürlich beim ersten Wahrnehmen eines Motorengeräusches gewesen wäre, nach rechts zu ziehen. Das war eine echt knappe und vor allem schockierende Kiste. Und obwohl die Dödel gemerkt haben müssen, welchen Schrecken sie uns da eingejagt haben (immerhin haben wir cholerisch aufgeschrien und wild gestikuliert), fuhren sie unbeirrt weiter. Mistkerle.
Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichten wir den trostlosen Ort am wunderschönen See. Aus dem erstbesten Homestay wackelte gerade ein Tourist, den wir nach seinem Urteil fragten. Da er zufrieden wirkte, wollten wir nicht mehr weiter nach dem Homestay der Verkäuferinnentochter aus Murghab suchen. Wir waren sogar so kaputt, dass uns die eigentliche Bedingung, eine warme Dusche zu bekommen, egal war. Die Dusche wurde uns für den nächsten Morgen versprochen. Doch was eigentlich viel besser war: wir hatten unser Zimmer mit halbwegs bequemen Betten und in der warmen Stube gab es nicht nur heiße Suppe und Tee, sondern tolle Gesellschaft gratis dazu. Ryan aus Irland samt Partnerin und eine Freundin, die bereits viele Jahre ihres Lebens in der Ukraine verbracht hatte und daher die perfekte Russisch-Dolmetscherin war, verschönerten uns den Abend. Die Mischung aus Bildung und Humor war ebenso grandios wie der Umstand, dass Ryan und seine Freundin eine Wohnung in Tbilisi haben und auf lange Sicht dort leben wohlen – wie sympathisch! Wer weiß, vielleicht können wir die beiden dort mal besuchen…
Der Morgen hielt nicht nur endlich mal lecker angemachte Eier (fast schon Omelette! Endlich kein fettiges Spiegelei) und Sonnenschein, sondern auch eine Schöpfkellendusche bereit. Welch ein gutes Gefühl, so frisch auf die Strecke zu gehen. Wir verabschiedeten unsere Homestay-Mutti, die zuvor fast alle ihre Kinder mit in den Jeep unserer netten Abendgesellschaft gesteckt hatte, um sie nach Murghab bringen zu lassen. Im Ort sollte es angeblich noch ein kleines Magasin geben, wo wir uns mal wieder den Luxus frischer Wasserflaschen gönnen wollten. Die Dorfbewohner waren aber etwas seltsam (liegt es am begrenzten Genpool?) und jeder zeigte irgendwie in eine andere Richtung oder schleppte uns zu einem anderen Gebäude. Letztendlich brachte mich eine vor sich hin spuckende Oma (und wir dachten, das Herumgerotze ist eine Eigenart der Männer) zum Ziel. Die ersten Kilometer flogen dank des Windes, der uns noch verschonte, nur so dahin – bis zum Uy Buloq-Pass auf 4323 m, was zwar angesichts unserer Ausgangshöhe von 3923 m keine große Differenz bedeute, dessen Anstieg es dennoch in sich hatte. Knackige 17 % zwangen uns immer wieder zum Stoppen. Und wie immer sollte auch die Abfahrt danach kein Genuss, sondern ein Kampf mit den Elementen werden. Zunächst blies uns der Sturm fast bis zum völligem Ausbremsen entgegen. Dann beschwor er an geeigneter Stelle noch finstere Sandverwehungen hinauf, die zu unangenehmen Ablagerungen in Augen, Mund und Nase führten. Angesichts drohender kompletter Versandung kämpfte ich mich bei verdunkeltem Himmel immer weiter, während Klaus die schaurige Szenerie für ausgiebige Fotosessions nutzte. Jeder fand das, was der jeweils andere da abzog, natürlich total scheiße und so war passend zum stürmischen Wetter auch bei uns kurz Krisenstimmung angesagt. Nach ein paar Kilometern der gewohnten sandigen Wellblechpiste und angesichts des von nun an beginnenden Anstiegs zum letzten großen Pass, beschlossen wir, nach nur 46 Tageskilometern bereits zur Nachmittagsstunde das Zelt aufzuschlagen. Endlich mal kein Stress und das Bergpanorama genießen. Immerhin lagen wir gut in der Zeit und unser Hochzeitstag sollte nochmal gebührend nachgeholt werden. Wozu hatte ich denn seit Murghab eine fettige Schokoladenbiskuitrolle mit mir herum gefahren? Grußlos fuhr noch ein anderes Radlerpärchen an uns vorbei – püh, wenn sie nix von der Schokoroulade ab haben wollten, ihr Problem.
In der Nacht glaubten wir zunächst, Sand auf unser Zelt riesen zu hören. Jedoch trat nun ein, was die Wolken uns schon seit Tagen zeigen wollten: Schnee im Pamir! Am Morgen war unser Zelt ähnlich den Berggipfeln gezuckert und geeist und Klaus hatte herrliche Fotomotive vor der Nase. Trotz ausgiebigem Porridge-Kochens waren wir noch eher on the road als die beiden Radler vom Vortag. Sie vermiesten uns mit ihrem Zeltspot eines der tollsten Fotomotive des Pamir und so zogen wir nun unsererseits grußlos an ihnen vorbei, immerzu mit dem schlechten Belag kämpfend. Dann ging es auf dem Weg zum letzten Pass knackig zur Sache. Steil und Schotter ist echt eine fiese Kombination. Einigermaßen außer Puste erreichten wir den unfreundlichen tadschikischen Grenzposten und durften geschwind ausreisen. Nun galt es nur noch ein paar Höhenmeter zu überwinden und dann waren wir oben auf dem Kizil Art Pass (4.282 m). Kurz nach uns trudelten von der anderen Seite zwei Reiseradler ein, vor denen nun noch das ganze Pamir-Abenteuer lag. Wir tauschten mal wieder Tipps für die jeweils andere Richtung aus und machten uns vor der kompletten Erfrierung auf den Weg. Die Straße blieb eine ganze Weile in erbärmlichem Zustand. Als wir mit Schotter und Kälte kämpften, trafen wir ein französisches Radlerpärchen, das noch bester Laune war. Hoffentlich behielten sie sich ihr Lachen in den folgenden harten Tagen bei… Endlich erreichten wir das weit auslaufende Tal mit halbwegs durchgehendem Asphalt und brausten auf den kirgisischen Grenzposten zu. In eine kleine weiße Kabine durften wir eintreten – „one by one“ wie man uns erklärte – und schwupps hatten wir zum ersten Mal seit Ewigkeiten vollkommen unkompliziert ohne Visa und zeitaufwendige X-Ray-Kontrollen unsere Einreisestempel in den Pässen.
Ich auch!!!
Mich packt langsam immer mehr die Fernweh, mal sehen was ich meiner Liebsten im nächsten Urlaub vorschlage!!!
Hut ab vor Euren Leistungen.
Aber wenn, dann startet ihr gleich mit dem Karakorum-Highway richtig durch, oder? 😉
Und danke für die lieben Worte 🙂 So viel haben wir eigentlich gar nicht geleistet, sind doch „nur“ Fahrrad gefahren… oder haben es geschoben.
Habe mir gerade die morgendliche warterei auf Bahn und schienenersatzverkehr mit eurem neuesten Text in ein Vergnügen verwandelt! Beim 17% Anstieg hatte ich kurz die Vorstellung wie es wäre allein die 800 m der hohen acht mit Gepäck herauf radeln zu müssen…. Schon bei dem Gedanken gruselt es mich…. 🙂
Uff, da müssen die Öffis dich aber ganz schön lang haben warten lassen, oder? 😀 Und ja, solche Rampen mit Gepäck sind übel. Da japst man schon auf normaler Höhe herum, aber auf 4000 Metern fühlt man sich schnell mal wie 80 😉 Anhalten, Luft holen, Puls beruhigen lassen, laaaangsam weiter…