Wenn das mal kein verspäteter Start war. Eigentlich wollten wir ja am Dienstag, den 4. April unsere große Tour starten. Doch der denkbar schönste Grund warf uns aus dem Rennen. Nein, wir sind nicht Tante oder Onkel geworden. Nein, wir hatten auch keine 100 Sponsoring-Verträge auf einmal vorgelegt bekommen. Wir waren zu Gast auf der Hochzeit unserer mindestens genauso fahrradverrückten Freunde Bianca und Henry, die sich – ohne Witz – am 1. April das Ja-Wort gaben. Wir waren sehr glücklich, diesem Ereignis noch beiwohnen zu können, ahnten aber nicht wirklich, wie sehr es doch unseren eh schon knappen Zeitplan durcheinanderbringen würde. Die Bitte des Bräutigams, vorab ihre Rennräder zu schmücken, führte bei uns Perfektionisten zu nächtlichen Schleifenbind-Aktionen (YouTube sei Dank), frühmorgendlichen Floristenbesuchen und Dekorations-Einlagen auf unserem Balkon. Dass der Hochzeitstag dann selbst keine zeitlichen Valenzen mehr ließ, war zwar klar, aber nicht, dass auch der Folgetag neben der Schlüsselübergabe an unseren Untermieter und einem Abschluss-Event mit der Familie uns so in Beschlag nimmt, erschwert von bleierner Müdigkeit und Alkoholabbau. Da fiel es uns auf die Füße, dass wir, wenn wir denn schon mal feiern, als Letzte in den Morgenstunden zu Bett gehen. Als wir also übernächtigt Sonntagmittag die 30 km vom Fest nach Hause radelten, beschlossen wir, uns noch einen Tag mehr Vorbereitung zu gönnen.

Und was sollen wir sagen? Dienstag hat es unentwegt geregnet und dadurch, dass sich bereits alle Mitmenschen gedanklich und/oder in Natura von uns verabschiedet hatten, konnten wir den ganzen Tag unentwegt präparieren, basteln, drucken, Musik übertragen, tüfteln und packen. Am Ende brachten die Taschen bei uns beiden jeweils um die 30 kg auf die Waage. Nicht wenig, das Standardgewicht, mit dem die meisten auf so eine Tour gehen – um dann eben im Laufe der Zeit zu merken, was davon unnötig ist und nach Hause geschickt werden kann.

Dann konnte es am Mittwoch ja endlich losgehen! Aber trotz einer 5-Stunden-Nacht und stetiger Betriebsamkeit wollten und wollten wir einfach nicht mit allem fertig werden. Es war bereits um 12, als wir die Taschen nach draußen trugen und immer wieder nur ein Gedanke im Kopf ratterte: „Haben wir jetzt WIRKLICH an alles gedacht?“. Als hätten wir nicht die gesamten letzten Wochen und Monate mit dem Gedanken verbracht „Was muss mit?“. Gegen halb 1 schließlich fiel dann wirklich die Wohnungstür final ins Schloss. 1, 2, 3 – vorbei! Ob ihr wirklich habt an alles gedacht, seht ihr wenn sich das Gepäck gut macht! Unser Nachbar Volker verabschiedete uns noch unter den ungläubigen Augen anderer Hausbewohner und so rollten wir auf den Elbradweg. Natürlich nicht ohne ein letztes Foto vom Altstadtpanorama. Leider mussten wir auf den ersten Kilometern noch gelegentlich anhalten, da wir es natürlich nicht geschafft hatten, mit allem Gepäck vorab eine Proberunde zu drehen. So zitterte bei mir der Lenker am Anfang so sehr, dass klar war: da vorne muss Gewicht weg – entgegen der bewährten Regel: vorne 60 % des Gepäcks, hinten 40 %. Bei Abfahrten kommt das schwummrige Gefühl manchmal wieder, sodass doch zu überlegen bleibt, Ballast abzuwerfen. Frank und Lucy in Wien, freut euch schon mal, wenn wir einiges bei euch lassen ?  Wobei wir uns einigermaßen sicher sind, nicht krankhaft zu viel eingepackt zu haben – ok, eingefleischte Reiseradler, die monatelang unterwegs sind und sich auf ein Minimum reduziert haben (Bsp. Ride Worldwide), würden uns sicher auslachen.

Zurück zur Tour: wir fuhren am ersten Tag die 115 km bis Pišťany fast in einem Ritt durch. Unterbrochen wurde der Mammut-Auftakt vor allem in Königstein: natürlich hatten wir eine Feuerquelle vergessen und so kauften wir noch schnell ein Feuerzeug. Auf meiner Stamm-Fähre, wenn ich zum Arbeiten im Nationalpark bin, war natürlich mein Lieblings-Fährmann, sodass ich nicht ohne einen kurzen Schwatz vorbeifahren konnte. Ein paar Meter später mussten wir uns ein Brötchen reinschieben, um auch die folgenden Kilometer in Windeseile zu bewältigen. Zugegeben, lediglich der Rückenwind und die exakte Kenntnis unserer Strecke ließen uns zu diesem mörderischen Anfang hinreißen. Dank des Wetters war der gesamte Elbradweg ziemlich entspannt und wir mussten kaum Leute aus dem Weg klingeln. Ab Děčín beginnt dann immer so richtig das Gefühl – wie der Sachse sagt – „bei de Tscheschn“ zu sein. Der Radweg bis zu unserem Ziel war gleichermaßen Genuss und Zähne zusammenbeißen zugleich. Kaum hatten wir im Dunkeln Zelt aufgebaut und mit dem jungfräulichen Benzinkocher das Abendmahl zusammen gerührt, erwischte uns eine stürmische Regenfront eiskalt. Da konnte uns auch der überdachte Pavillon nicht mehr schützen. Eilig schmissen wir alle Gepäcktaschen ins Zelt und retteten unsere Nudelportion vorm Regenersäufnis. Ein bisschen anders hatten wir uns das ja schon vorgestellt. Aber der Regen ließ wieder nach und wir konnten sogar nochmal zum Zähneputzen herauskrabbeln.

Der nächste Morgen war stürmisch, aber trocken. Dem chaotischen Vortag mussten wir Tribut zollen in Form von Ausschlafen und ausgiebigen Pack-Sortier-Maßnahmen. Noch dazu suchten wir per WiFi (wo auch immer das her kam bei dem geschlossenen Imbiss, vor dem wir zelteten) nach Unterkünften in Prag, was unser erklärtes Tagesziel war.

So ging es erst um 12 in die Spur und der Elbradweg glänzte zuweilen mit feinstem Asphalt, manchmal jedoch mit Kopfsteinpflaster, Bodenwellen sowie Feld- und Wiesenwegen, die uns total ausbremsten. Hier und da Wegverirrung und prompt war die Schnapsidee geboren: Lass uns Mělnik doch über die kürzere Hauptstraße erreichen, statt sich an der Elbe entlang zu schlängeln! Anfangs war der Verkehr auch erträglich, doch je näher wir der Stadt kamen, umso nervtötender wurde es. Eine schmale Straße ohne Seitenstreifen, auf der PKW wie LKW ohne Rücksicht auf Verluste die Hügel nur so hinauf und hinab bretterten. Das mulmige Gefühl wich erst, als wir zur Nachmittagsstunde das Städtchen am Zusammenfluss von Elbe und Moldau erreichten. Unsere Pause wurde ungeplant in die Länge gezogen, als wir einem Pärchen aus Leipzig begegneten. Kaum zu glauben, aber wahr: bereits am zweiten Tag treffen wir Menschen mit ziemlich genau dem gleichen Plan! Zwar mit etwas mehr Zeit und leicht anderer Route, aber auch hier das große Ziel: im Spätsommer das Pamir-Gebirge zu erreichen. Verfolgen kann man die beiden unter www.losgefahren.com. Der Zusammenfluss von Moldau und Elbe wollte selbstverständlich auch noch bestaunt werden und so verließen wir Mělnik  erst gegen 17 Uhr, inklusive kleiner Verfahrerei (muss man sich ja erst mal dran gewöhnen, nicht mehr der Fahrradroute 2, sondern der 7 zu folgen).

Der Hit war die Personenfähre in Luzec nad Vltavou, wo ein bereits gut zerfurchter Mann unsere Fahrräder ins Boot wuchtete und uns per Steuerruder ans andere Ufer brachte. Wir radelten leider erst mal leicht westlich weiter, sodass uns zum ersten Mal seit Beginn die Wucht des Windes nicht mehr schob, sondern ausbremste. Als der Abend Einzug hielt, hatten wir doch Bedenken, ob Prag angesichts des unbekannten Weges (wer weiß, was für Schlaglochpisten, Sandwege oder Sperrungen da so kommen) ein gutes Ziel wäre. Sportfreak, halt ein! Es soll schließlich auch noch Urlaub sein! Nachdem wir uns sowieso schon wieder verfahren hatten, fragten wir in der einzigen Pension von Veltrusy nach dem Preis. 750 Kronen in einer Kaschemme, wo mich die ganzen rauchenden Männer wie eine Außerirdische beglotzten (das nächste Mal schicke ich Klaus vor), waren uns irgendwie doch zu viel und da die Sonne noch schien, entschieden wir uns für einen minimalen Umweg zum in unserer 8 Jahre alten Karte eingezeichneten Zeltplatz. Ein Autocamp liegt hier idyllisch an der Moldau und es empfing uns vorsaisonale Ruhe, die uns unsicher machte, ob hier nur derzeit oder für immer Stille und Vermoderung eingezogen waren. Doch da entdeckten wir Autos neben den Hütten. Und da, ein Eingang. Jedoch keinerlei Spur von einer Rezeption. In einem Haus, welches wir als „Zentrum“ des Geländes ausmachten, klingelten wir. Nach einer ganzen Weile, als ich schon längst zur Inspizierung der desaströsen Sanitäranlagen aufgebrochen war, kam eine super deutschsprechende Frau heraus. Sie erzählte uns, dass die Autos zu Rumänen gehörten, die hier hausten und arbeiteten, wobei sie dabei sehr abfällig klang. Sie kümmere sich um die Sanitäranlagen wegen diesen Leuten in keinster Weise mehr. Vermutlich wurden sie hier gegen eine kleine Miete also nur geduldet. Da sie uns hier ungern zelten lassen wollte, gab sie uns eine Hütte etwas abseits vom Trubel für 400 Kronen. Kein großer Komfort, dafür etwas Strom und ein Dach über dem Kopf, falls der angekündigte Regen wirklich kommen sollte. Warm duschen konnten wir uns in ihrem Haus, von dem uns das Prinzip aber auch nicht ganz klar war. Manche müssen dort um 6 Uhr raus um früh zur Arbeit zu gehen. Danach würde es ruhiger, aber auch zwei alte Omis habe ich durch einen offenen Türspalt gesehen. Wer dort zur Familie gehört und/oder sich eingemietet hat, ist nicht ganz durchschaubar. Fakt ist nur: Touristen gab es hier noch keine ?

Fortsetzung folgt…