Nun ging es also ans Eingemachte. Am Morgen des 15. Juli, des Starttages unseres Transitvisums, überquerten wir die Grenze nach Turkmenistan – der „Traum“ eines jeden Reiseradlers auf dem Weg ins Pamir, ganz einfach, weil es bedeutete, nicht stattdessen fliegen zu müssen. Die Grenzbeamten waren soweit in Ordnung, nur haben sie Klaus etwas mit den vorderen Gepäcktaschen genervt, die den gesamten Campingkram sowie Fahrradreparaturzubehör enthielten. In einer Seelenruhe legte Klaus jeden Drecklappen, Kettenöl und Einzelteile vor, bis selbst die Beamten zu angeödet waren. Ich durfte lediglich unsere Medizin präsentieren, die lustlos einzeln von der dicken Frau begrabscht und begutachtet wurde. Insgesamt dauerte das gesamte Grenzprozedere so lang, dass wir erst nach 13 Uhr die erste Etappe bei glühender Hitze und Gegenwind starten konnten. Aber wie ungeahnt frei man sich auf einmal fühlte, wo man doch in einer Diktatur angekommen war. Die Frauen am Straßenrand trugen lange bunte Kleider und trotz der Kopfbedeckung wirkten sie so viel stilvoller und lebensfroher als die ganzen finsteren Hijab-Getsalten im Iran. Und für uns bedeutete das neue Land endlich wieder kurze Fahrradhosen! Kein Kopftuch unterm Helm!! Hugo und Céline hatten dennoch keine Lust auf Radeln und trampten das erste Stück nach Mary erfolgreich. Wir radelten tapfer weiter, sogar einen 50 km Umweg, da der direkte Weg nach Hauz-Han mehreren Berichten zufolge mit unfassbar schlechtem Straßenbelag aufwartete. Da rollen wir doch lieber etwas weiter. Und die Streckenwahl erwies sich gar nicht mal als so dumm, da wir wirklich tolle, unaufdringliche Gastfreundschaft erlebten.
Im Schatten eines Hochspannungsmastes legten wir eine kleine Brotzeit ein und gerade, als wir aufbruchsbereit waren, kam ein älterer Herr per Fahrrad zu uns, sagte nur „Čaj“ und deutete auf sein Haus. Da unsere Lust gering war, in der Hitze weiter zu radeln, nahmen wir die Einladung an. Doch von seiner Schwiegertochter wurden uns auf dem Teppich des Wohnzimmers nicht nur Tee und Kekse serviert. Auf einmal kamen da noch ein Gemüseteller, Brot und ein Fleisch-Tomaten-Eintopf hereingeschwebt und als Krönung: eine kühle Fanta. Hunger hatten wir freilich nicht mehr, aber die Getränke ließen wir nur so in uns hinein gluckern. Nachdem wir eine ganze Weile die einjährige Enkeltochter bewunderten, setzten wir unseren Weg schweren Herzens fort, auch wenn unser lieber Gastgeber uns mit Gesten andeutete, wir sollten doch gleich hier schlafen. Aber wir wollten bzw. mussten noch so viele Kilometer wie möglich schaffen. Schon im Abendlicht winkte uns ein Mütterchen zu sich an den Melonenstand und ließ es sich nicht nehmen, uns mit einer halben, saftigen Melone zu füttern. Besser bei dem Brand, den wir nun tagtäglich litten, ist nur eine kühle Cola. Schließlich kauften wir ihr auch noch eine für unser Abendbrot/Frühstück ab und radelten weiter. Die Sonne ging mittlerweile schon 20 Uhr unter, wir hatten nicht mehr viel Zeit, eine geeignete Zeltstelle zu finden. Die Landschaft hatte sich von steppenartiger Wüsten- zu Agrarlandschaft gewandelt und die Optionen schienen rar. Also fragten wir bei einem Straßencafé, ob sie eine geeignete Stelle wüssten. Prompt wurde uns angedeutet, da zu bleiben, da es ansonsten viel zu gefährlich sei, vor allem wegen der Straßenhunde. Auf einem steinernen Podest, welches sonst mit ausgerolltem Teppich zum Essen genutzt wird, konnten wir Isomatten und Schlafsäcke ausrollen. Das eigentliche Highlight war jedoch die Dusche. Das Brunnenwasser wurde im Kessel erhitzt und Eimerweise zum Duschhäuschen getragen, wo man sich schließlich mit der Schöpfkelle abspülen konnte. Als Klaus an der Reihe war und ich mich gerade ans Melone schneiden machen wollte, kam unser Gastgeber und zwang mich förmlich, mit in die Gaststube zu kommen. Die Melone kam mit und wurde um eine Wassermelone ergänzt, Tee wurde selbstverständlich auch serviert. Seine beiden Frauen sowie die zahlreichen Kinder wirbelten die ganze Zeit umher. Als Klaus dazu kam, gönnten wir uns das einzig richtige nach 30 Tagen Iran: ein gezapftes, kühles Bier! Der liebe Wirt reichte uns dazu in einem nicht versiegenden Strom leckeren Räucherkäse und wir waren im siebten Himmel. Bezahlen durften wir am Ende nicht einen Manat. Wahnsinn, was uns innerhalb eines Tages an Gastfreundschaft völlig unerwartet in Turkmenistan entgegengebracht wurde! Dankbar schlummerten wir ein.
In aller Früh nahmen wir den anstrengenden Weg nach Mary auf uns. In Hauz Han, wo wir nach den ersten 50 km eine Frühstückspause einlegten, bot uns ein LKW-Fahrer an, uns mitzunehmen. Jedoch war es uns noch zu früh, um Aufzugeben. Nach dem vielen „Gemogel“ im Iran, wollten wir erst mal versuchen, die Herausforderung Turkmenistan mit eigener Beinkraft zu meistern. Bei unserer späten Mittagsrast hatten wir bereits 100 km geschafft und kochten uns erst mal eine dicke Portion Nudeln mit frischem Gemüse. Obwohl wir uns ziemlich abseits der Hauptstraße niedergelassen hatten, fand uns erneut ein großherziger Mensch, der uns seine quietschsüße Limonade schenkte sowie zwei saftige Spalten Melone. Welch großartiges Dessert! Die Einladung zum Übernachten in Mary gab es gleich mit dazu. Wir notierten zwar seine Telefonnummer, aber eigentlich war uns schon klar, dass wir es noch ein ganzes Stück weiter schaffen wollten.
Die Umgehungsstraße von Mary war dann die schlimmste Entscheidung des Tages. Eine einzige schmale Schlaglochpiste, auf der uns auch noch ständig die donnernden LKW im Nacken saßen. Das war nur mit einer erneuten Eis- und Cola-Pause zu ertragen – ein schlimmes und ungesundes Laster, dass wir uns in der Hitze angewöhnt haben. Wir radelten weiter und weiter und wie immer, wenn die Sonne sich schon rasend schnell dem Horizont nähert, war natürlich keine geeignete Zeltstelle zu finden. Entweder Industrie oder Landwirtschaft prägten das Bild zu beiden Seiten der Straße. Also bogen wir noch vor der nächsten größeren Stadt Bayramaly in das Dorf Mekan ab, um vielleicht dahinter ein ruhiges Fleckchen Natur zu finden. Auf der Straße stand auf einmal ein freundlicher junger Mann, der nicht so desinteressiert an uns wirkte wie die anderen Dorfbewohner zuvor. Als wir fragten, ob man irgendwo zelten könne, verwies er uns an ein Hotel. Wir erklärten ihm, dass wir als Radreisende eher Low-Budget-mäßig unterwegs sind und ungern für ein Hotel bezahlen würden (wir hatten eh nur 20 Dollar in Manat getauscht und wollten den wahnwitzigen Versuch unternehmen, damit durchzukommen). Spontan sagte er „You can come to my house. Now you are my guests“. Diese Spontaneität gefiel uns! Wir wackelten gemeinsam über die schlechten Pisten seines Dorfes, um in seinem Elternhaus auf einer Pagode Platz zu nehmen. Unser Gastgeber hieß Bega und während seine Eltern noch nicht eingetroffen waren, versorge uns seine Schwester Bilbil mit Tee und Keksen. Bald gesellten sich auch die Eltern zu uns und eine Horde Männer, allesamt Brüder des Vaters. Es war ein sehr herzlicher Abend und vor allem die vor Liebe sprühenden Blicke der Mutter Miwe werden wir nie vergessen. Letztendlich „zwang“ man uns, mit ihm Haus zu übernachten, obwohl wir uns einfach draußen mit den Schlafsäcken hingelegt hatten. Das sei doch viel zu kalt, meinten alle einhellig. Tatsächlich wurde es in Turkmenistan nachts richtig angenehm, sodass man sich skrupellos in seinen Daunenschlafsack einmummeln konnte. Bevor wir unser schönes Nachtlager aus tausend Decken und Kissen bezogen, durften wir noch eine warme Dusche nehmen. Wie vom Tag zuvor bekannt wurde das Wasser eimerweise ins über den Hof gelegene Badezimmer getragen, wo man sich mit Schöpfkelle abspülte. Ein Waschbecken stand funktionslos im Raum. Die Toilette war ein Plumpsklo neben dem Hühnerstall. Diese Kontraste sind wirklich spannend. Auf der einen Seite sind viele Menschen wohl situiert, fahren gute Autos, nutzen Smartphones und alle Vorzüge der Moderne, doch im (Ab-)Wasserbereich sind vor allem die Dörfer absolut rückständig. Kein einziges Mal während unserer Turkmenistan-Durchquerung fanden wir etwas anderes als Plumpsklos vor (wobei wir auch nicht in den großen Städten angehalten haben), was uns im Prinzip nicht weiter stört, jedoch ist uns vor allem im Gastro-Bereich aufgefallen, dass die Handwaschmöglichkeiten rar sind. Von nun an sollte das Desinfektionsgel in unseren Fahrradtaschen immer schnell erreichbar sein…
Obwohl wir dank des Familienanschlusses spät ins Bett gekommen waren, standen wir 5.30 Uhr auf, um wie geplant 6 Uhr starten zu können. Diese Uhrzeit hatten wir selbstverständlich auch der Familie kommuniziert, damit sie sich nicht wundern, dass wir uns zeitig aus dem Staub machen. Punkt 6 Uhr trug die goldige Miwe dann das Frühstückstablett ins Wohnzimmer und bei hervorragender selbstgemachter Apfelmarmelade konnten wir natürlich nicht nein sagen. Dem nicht genug, gab es noch ein ganzes Brot und Marmeladenglas mit auf den Weg. Natürlich ließ man uns dann auch nicht einfach am Hoftor verschwinden. Bega begleitete uns zu Fuß bis wir wieder die Hauptstraße Richtung Türkmenabat erreicht hatten. Wir wünschten ihnen noch für die heute anstehende Hochzeit in der Familie viel Spaß und machten uns, später als geplant, auf den Weg. In Bayramaly sollte es eigentlich noch die ein oder andere historische Sehenswürdigkeit geben, sodass wir uns dieses Mal für den Weg durch die Stadt und nicht die Umgehungsstraße entschieden. Am Ende sahen wir nichts und wurden stattdessen von einer furchtbar grottigen Straße durch gerüttelt. Aber das war nur der Anfang von einem schlaglochreichen Tag. Am Wegesrand kamen bald zahlreiche Tomatenstände und als wir uns beim letzten entschlossen, trotz Matschgefahr welche mitzunehmen, durften wir am Ende nicht bezahlen. Jetzt wurde quasi all das wahr, was man uns für den Iran versprach. Im Gegensatz zu den Iranern, waren die Turkmenen außerdem noch angenehm zurückhaltend, was wir nach dem ganzen Furore im Iran wirklich genossen.
Dann begann der Ritt durch die Wüste. Es war heiß, heißer, am heißesten und wir hangelten uns von Café zu Café, um kühle Getränke nachzuladen. Shops gab es nun keine mehr, aber die Cafés verlangen glücklicherweise humane Preise für die Wasserflaschen. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir ein Hotel und als wir gerade in dessen Café die Getränkereserven auffüllen wollten, standen Hugo und Céline vor uns – geduscht und frisch. Sie schliefen im Hotel und wollten am nächsten Tag den Zug nach Türkmenabat nehmen, da diese Holperpiste von Straße mit ihrem Anhänger noch grauenvoller war. Wir hingegen bezogen kurze Zeit später unser Nachtlager in den Sanddünen, kochten Nudeln und genossen den atemberaubenden Sternenhimmel. Die Temperaturen waren so angenehm, dass wir ewig hätten da liegen und den Himmel beobachten können, doch die Vernunft ließ uns doch irgendwann ins Zelt krabbeln.
Das Aufstehen zum frühen Morgen war wie immer schwer, denn genau zum Sonnenaufgang ist es schließlich am frischsten draußen und somit am tollsten zum Schlummern. Doch da wir aufgrund des starken Gegenwindes vom Vortag in Kombination mit Hitze und schlechter Straße nur knapp 100 km geschafft hatten, blieb keine Zeit zum Verschnaufen. Und der harte Kampf ging unerbittlich weiter. Der Sturm brauste uns so stark entgegen wie eh und je und die Strecke kannte auch kein Erbarmen. Im Café von Repetek konnten wir eine klimatisierte Pause machen, zum Kochen unseres Mittagessens gingen wir aber auf die Terrasse und selbst dort war die Hitze erdrückend. Beim letzten Café-Stop gegen 18 Uhr erzählte uns der Besitzer von den giftigen Schlangen und Skorpionen und dass kürzlich wohl jemand beim Zelten gestorben sei. Zumindest deuteten wir so seine Gesten, denn das war unsere einzige gemeinsame Sprache. Die Lust auf’s Zelten war uns vergangen, doch bis Türkmenabat und damit einem sicheren Hotel war es eindeutig zu weit. Rund 20 km vor der Stadt begann die übliche Industrielandschaft und wir fanden noch genau eines der Trucker-Cafés, wo wir uns nach einer Übernachtungsmöglichkeit erkundigten. Sofort wurde uns ein Raum gezeigt, wo wir auf dem Boden schlafen konnten. Es war weder sonderlich aufgeräumt noch hatte man hier Ruhe, da die nach oben offene Wand sowohl das grelle Licht als auch den Lärm durch den plärrenden Fernseher ins Kabuff ließ. Aber hey, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Aber von wegen geschenkt. Man hatte uns die schäbige Dusche quer über den Hof gezeigt und gerade als Klaus nach mir dabei war, die salzig-sandigen Krusten von der Haut zu schrubben, kam eine der Damen zu mir und rechnete mir vor, dass sie jetzt gerne 10 Dollar für die Übernachtung sowie pro Nase 10 Manat für die Dusche hätte. Bitte was? Draußen war es mittlerweile dunkel und ich wusste nicht, was wir jetzt tun sollten. In Rage rannte ich zu Klaus und wahrscheinlich hat man über den Hof recht gut hören können, wie aufbrausend ich ihm von der dreisten Forderung erzählte. Sofort kam eine andere Dame dieses seltsamen Etablissements und beruhigte uns, dass mit 10 Manat insgesamt für alles die Sache gegessen wäre. Uns fiel ein Stein vom Herzen. Jetzt hatten wir für die letzten Stunden in Turkmenistan noch genau 4 Manat – Punktlandung! Viel Schlaf bekamen wir natürlich nicht, noch lange war es laut.
Um 6 waren wir wieder auf der Straße, schlängelten uns durch Türkmenabat, auf den ersten Blick keine sehenswerte Stadt, und boten weiter Hitze und Wind die Stirn, bis wir endlich die Grenze erreichten. Ganz ungewohnt, mussten wir hier sogar bei der Ausreise sämtliche Gepäcktaschen zum Scannen abladen und im Gegensatz zu den turkmenischen Grenzbeamten bei der Einreise war man hier nicht sonderlich freundlich. Das passte aber zum Gesamtverlauf unserer zeitlich korrekt gerechneten nur vier Tage in Turkmenistan: die erste Hälfte war überraschend angenehm, herzlich und voll von positiven Momenten, die leider in der zweiten Hälfte zu verpuffen schienen. Rückblickend wären wir nicht schlecht beraten gewesen, von Mary oder Bayramaly den Zug zu nehmen. Andererseits wollten wir uns selber beweisen, dass es geht. Mit Zeitdruck bei widrigsten Bedingungen durch die Wüste zu radeln brachte uns psychisch wie auch physisch an unsere Grenzen und ließ uns ungeahnte Strapazen erleiden. Doch wie so oft beim Sport ist das erhabene, glückliche und vor allem erleichterte Gefühl nach Bewältigung einer immensen Herausforderung unbeschreiblich. Und so waren wir einfach nur froh, die Hürde Turkmenistan erfolgreich und ohne Pannen gemeistert zu haben.
Bin gerade erst dazu gekommen, den Blog zu lesen. Die Bräune ist echt gigantisch!!! Bei Antje sieht man vor allem, dass sie gern Sonnenbrille trägt 😉
Oh ja, dieser Brillenabdruck ist unheimlich nervig… Habe ihn aber mittlerweile ganz gut in den Griff bekommen! 😀
Ihr seid so knusper-braun mittlerweile, ich glaube, wir werden euch nicht wiedererkennen, wenn ihr zurück seid… 😀
Ach, die Bräune wird schon rechtzeitig wieder verschwinden 😀 Immerhin sind wir seit einer Weile in recht winterlichen Hochgebirgen unterwegs 😉
Guten Morgen ihr Beiden, oder bei euch ist es ja bereits weit nach den Mittag.
Kilometer für Kilometer habt ihr den Widrigkeiten getrotzt und habt euern Weg gefunden. Klasse!!! Weiter so!